"Eine Seifenblase"
Rot-Grün einigt sich keine Panzer in die Türkei zu liefern.
Interview mit Otfried Nassauer
Nun haben sich also führende Grüne und SPD-Politiker geeinigt, keine Panzer an
die Türkei zu liefern. Ist denn zu diesem Zeitpunkt das Land überhaupt noch
entschlossen, die deutschen Panzer auch wirklich zu kaufen?
Das Panzer-Projekt trägt seit langem die Kennzeichen einer Seifenblase: Es sieht
hübsch aus, doch wenn man es anfasst, platzt es und nichts war im Innern. Denn auf
türkischer Seite bestehen schon längst große Zweifel am Sinn des Panzerkaufs. Es fehlt
schlicht das Geld, um in den kommenden Jahren 1.000 moderne Kampfpanzer zu finanzieren.
Ankara ist hoch verschuldet: Das schwere Erdbeben, der hohe Ölpreis und die grassierende
Schattenwirtschaft schwächen die türkische Wirtschaft. Zudem muss sich die Türkei
bemühen, die Kopenhagener Kriterien für einen EU-Beitritt zu erfüllen. Da wundert es
nicht, dass die Türken die Entscheidung, Panzer zu kaufen, erst einmal verschoben haben.
Ist die Absage lediglich ein Scheinkompromiss, der die rot-grüne Koalition das Gesicht
wahren lässt und sie so vor einer weiteren Krise rettet?
Natürlich - denn was sich Schröder, Fischer, Schlauch und die übrigen Politiker
einfallen lassen haben, ist politisch scheinbar geschickt, aber leicht durchschaubar: Mit
der Absprache wollen sie die parteiinterne Opposition beschwichtigen. Diejenigen Grünen
und SPDler, die gegen Rüstungsexporte in der Türkei sind, sollen glauben, wenigstens
einen Teilerfolg errungen zu haben. Dabei ist der angebliche Handel gar keiner: Man
verzichtet auf den Panzerexport, der wahrscheinlich nichts geworden wäre. Und hofft,
damit Kritiker ruhig zu stellen, die nun gegen das durchaus reale Projekt, die
Munitionsfabrik, bitte nichts mehr sagen sollen. Man bleibt scheinbar glaubwürdig und
kann trotzdem Rüstung exportieren.
Wird die Türkei nun auf amerikanische Abrams-Panzer ausweichen?
Das glaube ich nicht, die Türkei wird eher gar keinen neuen Panzer kaufen. Ankara
müsste eigentlich froh sein, dass es sich aus dem Panzerkauf zurückziehen kann, ohne
sein Gesicht in der Nato zu verlieren.
Als Argument für den Panzerexport wurde immer wieder angeführt, dadurch
würden 6.000 Arbeitsplätze in Deutschland zehn Jahre lang erhalten. Ist diese Zahl
realistisch?
Das ist ein Witz. Es kann sich allenfalls um einige hundert zusätzliche Jobs handeln.
Schließlich hatten die fünf größten Panzerbau-Betriebe 1998 zusammen nicht einmal
4.000 Angestellte. Außerdem ist es völlig unrealistisch, mit dem erwarteten Umsatz von
sechs Milliarden Mark in Deutschland 6.000 Arbeitsplätze für zehn Jahre erhalten zu
wollen. Bei solchen Umsatzerwartungen je Angestellten würde jeder normale
Handwerksbetrieb Pleite machen.
Hat Rot-Grün die neuen Exportrichtlinien, die es Anfang des Jahres formuliert
hat, wirklich umgesetzt?
Nein - die Koalition hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie hat weder geklärt, wie sie
das Parlament in die Exportpolitik einbeziehen, noch wie die Verwaltung die neuen
Richtlinien umsetzen soll. Außerdem hat sie sich keine Gedanken gemacht, wie die neu
eingeführten politischen Kriterien der nachhaltigen Entwicklung, der Gewaltprävention
und der Menschenrechte praktisch umzusetzen sind. Damit ist der Industrie nicht klar, was
sie exportieren kann. Und die Öffentlichkeit fragt sich, was an der neuen Politik
restriktiver sein soll.
Interview: Cosima Schmitt
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