Streitkräfte und Strategien - NDR info
10. März 2007


Der Ruf nach Energiesicherheit
Herausforderung für eine neue Sicherheitspolitik?

von Otfried Nassauer

Bis heute sind die Debatten über Sicherheits- und Energiepolitik meist durch die gleichen Stichworte geprägt: Energieabhängigkeit, Energiesicherheit, Versorgungssicherheit – um nur einige zu nennen. Schon diese Schlagwörter lassen die Perspektive erahnen: Ein Land wie Deutschland, das stark von Energieeinfuhren abhängig ist, muss dafür sorgen, dass ihm der Energiehahn nicht zugedreht werden kann. Ob bei Krisen am Golf oder bei winterlichen Pipelinestreitigkeiten Russlands mit der Ukraine und Weißrussland – die Argumente ähneln sich. Politische und wirtschaftliche Vorsorge sind möglich: Ein breiter Mix verschiedener Energieträger aus unterschiedlichen Ländern – das muss das Ziel der Verantwortlichen sein. Hundertprozentige Sicherheit aber ist nicht möglich. Oft dienen solche Debatten auch als Anlass, geopolitische Grundsatzfragen und Schwerpunkte zu diskutieren: Das deutsche Verhältnis zu Russland zum Beispiel. Oder den deutschen Beitrag zur globalen amerikanischen Ordnungspolitik. Die Rolle der EU in der Energiepolitik – "Soll sie eine strategische Energiepolitik betreiben?" Oder die Rolle der NATO: "Tritt der Verteidigungsfall ein, wenn einem NATO-Mitglied von Russland der Energiehahn zugedreht wird?"

Letzteres forderte kürzlich der amerikanische Senator Richard Lugar. Er tat es bezeichnenderweise in Riga - anlässlich des jüngsten NATO-Gipfels. Für Lugar lautet die Antwort selbstverständlich "Ja". Sonst mache die NATO künftig kaum Sinn. Wenn sicherheitspolitische Gesichtspunkte in die Diskussion über die Energiepolitik einfließen und die Risiken für die Energieversorgung als Bedrohung debattiert werden, dann wird unweigerlich auch über die Rolle von Streitkräften bei der Sicherung der Energieversorgung geredet.

In den USA geschieht das mitunter ganz offen. Zitat: "Jeder Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet und ... mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer zurückgeschlagen werden." [Zitat Ende]. Nein, Autor dieser klaren Worte war nicht George W. Bush. Es war der liberale Demokrat Jimmy Carter, der 1980 die nach ihm benannte Carter-Doktrin formulierte und begründete, warum Washington eine Schnelle Eingreiftruppe für die Golfregion aufstellen müsse. Der Logik einer militärischen Absicherung vor allem der leicht und kostengünstig zugänglichen Energieressourcen folgt Washington bis heute. Seit die Regierung Bush im Amt ist, sogar wieder verstärkt. Viele Amtsinhaber haben ihren Hintergrund in der Energie- und Rüstungsindustrie. Das Vorhaben dieser Regierung, den Nahen und Mittleren Osten mit notfalls militärischen Mitteln zu demokratisieren, hat sicher nicht nur - aber auch - energiepolitische Gründe. Wer über die Verteilung der größten Erdöl-Reserven der Welt mitbestimmt, kann besser beeinflussen, wie die wirtschaftliche Entwicklung potentieller Konkurrenten – zum Beispiel Chinas – verläuft. Dafür ist manch amerikanischer Stratege bereit, sehr weit zu gehen: Für einige ist es eine Option, die Ölfelder Saudi-Arabiens einfach zu besetzen, sollte das autoritäre, aber amerikafreundliche Königshaus einmal von fundamentalistischeren Kräften gestürzt werden. Die Ölreserven im Sudan und im Golf von Guinea gehören sicher zu den Gründen dafür, dass die USA künftig mit einem eigenen militärischen Oberkommando für Afrika, AFRICOM, mehr Präsenz zeigen wollen.

Doch die Kosten einer solchen Politik der militärischen Absicherung sind enorm. Schon zu Friedenszeiten, so amerikanische Wissenschaftler, dient seit vielen Jahren mindestens ein Drittel der US-Militärausgaben diesem Zweck. Spätestens mit dem jüngsten Golfkrieg übersteigen allein die Ausgaben für die Kriegführung die jährlichen Kosten für alle Ölimporte Amerikas um ein Vielfaches.

Die Risiken werden weiter steigen. Der allergrößte Teil der bekannten, leicht förderbaren Ölreserven kommt aus der Golfregion und ist aufgrund der zentralisierten Infrastruktur sehr verwundbar – auch durch Terroranschläge. Die wichtigsten Transportrouten führen durch Meerengen und Kanäle, wie die Straßen von Hormuz und die von Malakka oder durch den Suez-Kanal, wo sie ebenfalls sehr verwundbar sind. Die Konkurrenz um die verfügbare Ölförderung wächst rasch. Denn der Bedarf der USA an Ölimporten steigt. Noch deutlicher steigt der Energiebedarf Chinas, Indiens und Südostasiens. Ganz gleich, wann die Ölreserven der Erde wirklich zur Neige gehen – entscheidender ist der Zeitpunkt, zu dem die Nachfrage vom Angebot nicht mehr gedeckt werden kann und damit die Gefahr von Konflikten wächst. Ähnliches gilt – wenn auch später - für den zweiten wichtigen Energieträger, Erdgas.

Auch in deutschen Debatten spiegelt sich bislang vor allem diese traditionelle Sichtweise des Zusammenhangs von Sicherheits- und Energiepolitik. Schon in den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Jahres 1993 wurde die Sicherung der Transportwege für Öl und Gas als mögliche Aufgabe der Bundeswehr betrachtet. Auch das Weißbuch 2006 greift das Thema in dieser Form auf. Die aktuellen Debatten über die Verlässlichkeit Russlands als Energielieferant oder eine gemeinsame Energiepolitik der Europäischen Union spiegeln es wider.

Doch man kann das Verhältnis von Energie- und Sicherheitspolitik auch aus einer ganz anderen Perspektive betrachten. Was wäre, wenn die Energiepolitik als wesentlicher Bestandteil einer erweiterten Sicherheitspolitik betrachtet würde? Wenn sie als Gestaltungsmittel der Sicherheitspolitik eingesetzt würde? Wenn Investitionen in Energiespartechnologien und erneuerbare Energien als Investitionen in die Sicherheit und Souveränität eines Staates betrachtet würden?

Der Paradigmenwechsel könnte kaum größer sein. Investitionen in die Entwicklung und Einführung energiesparender Technologien und die Nutzung erneuerbarer Energien wären dann sicherheitspolitische Investitionen. Staatliche Förderung könnte mit den gleichen Argumenten begründet werden wie die Entwicklung oder der Erhalt wehrtechnischer Kernfähigkeiten. Innovationen würden beschleunigt. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Technologien würde rascher steigen. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf erfolgsträchtigen Exportmärkten würde signifikant gestärkt. Positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind schon heute bemerkbar. Über 200.000 Arbeitsplätze sind bereits entstanden. Mit diesen Technologien wird nicht nur die Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger geringer, auch die leicht verwundbaren Knotenpunkte der Infrastruktur können reduziert werden. Jedes Megawatt Strom, das entweder eingespart oder mittels erneuerbarer Energien erzeugt wird, senkt nicht nur den CO2-Aussstoß Deutschlands. Es trägt auch zu einer Verringerung der globalen Konkurrenz um die fossilen Energieträger und damit von Konfliktpotentialen bei. Es hilft bei der Konfliktprävention. Die breite Einführung der einzelnen Technologien macht diese billiger und damit schneller für ärmere Länder bezahlbar. Das fördert deren Entwicklung, und Entwicklung kann eine Voraussetzung für Stabilität sein.

Die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit eines solchen Wandels sind mit großer Wahrscheinlichkeit gegeben. Das verdeutlichen auch amerikanische Studien wie jene mit dem Titel "Das Öl-Endspiel gewinnen". Sie wurde vom Pentagon gefördert. Allerdings: Es kommt darauf an, den Perspektivenwechsel auch zu vollziehen: Aus der Energiepolitik folgen nicht primär sicherheitspolitische Risiken. Sie ist vor allem ein sicherheitspolitisches Gestaltungsmittel.

Für eine oft als Alternative zu Öl und Gas ins Spiel gebrachte Technologie gilt all dies allerdings nicht – für die Kernenergie. Uran ist endlich. Nur die Wiederaufbereitung und geschlossene Brennstoffkreisläufe könnten eine langfristige Nutzung garantieren. Doch dann steigen die Risiken der Weiterverbreitung atomarer Waffen erheblich. Denn die Wiederaufbereitung eröffnet den technologisch leichteren Weg zur Bombe. Ganz abgesehen davon, dass Anlagen der kerntechnischen Industrie eine Risikoklasse für sich darstellen.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS