Streitkräfte und Strategien - NDR info
17. November 2012


Nicht zukunftsfähig?

Rüstungsindustrie nach der geplatzten EADS-Fusion in der Krise

von Otfried Nassauer

Die Nachricht elektrisierte: BAE Systems und EADS wollen fusionieren. Die Nummer drei und die Nummer sieben unter den größten Rüstungskonzernen der Welt. Entstehen sollte also der größte Rüstungskonzern und zugleich das größte Luft- und Raumfahrtunternehmen der Welt. Ein Gigant mit rund 100 Mrd. Dollar Umsatz, der neue Maßstäbe setzen würde.

Das ambitionierte Vorhaben ist bekanntlich gescheitert. Betriebswirtschaftlich sprach vieles für die Fusion. Das wirtschaftliche Umfeld der europäischen Rüstungsindustrie bietet kaum rosige Aussichten. Die Rüstungsausgaben der EU-Staaten sind seit 2007 um mehr als rund 10 Milliarden Euro gesunken, die Forschungs-, Entwicklungs- und Beschaffungsetats wurden noch stärker reduziert. Die Nachwehen der Finanzkrise und die zu erwartenden Belastungen der Eurokrise lassen auch auf längere Sicht kaum Besserung erwarten. Die Entwicklung eines europäischen Rüstungsmarktes stagniert. Keine guten Aussichten also für die europäische Rüstungsindustrie, die mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch erhebliche Überkapazitäten hat und zersplittert ist, weil die Beschaffung von Rüstungsgütern von vielen Staaten weiterhin als Teil der Wahrung ihrer staatlichen Souveränität betrachtet wird.

EADS und BAE Systems hätten sich relativ gut ergänzen können. Ihr Zusammengehen hätte manches Zukunftsproblem leichter lösen können. BAE Systems ist ein fast reiner Rüstungsbetrieb, dem ein ziviles Standbein fehlt, wenn das Rüstungsgeschäft krankt. EADS dagegen ist ein Luft- und Raumfahrtkonzern, dessen Rüstungssparte zu klein ist, um Krisen auf dem Markt für zivile Flugzeuge abzufedern. Der EADS-Umsatz wird vom Airbus dominiert. Der größte nationale Markt des britischen Rüstungskonzerns sind die USA. Gleich dahinter folgt der Export in den Rest der Welt. Nur ein Fünftel seines Umsatzes fällt in Großbritannien an. Dort aber befindet sich der größte Teil der Arbeitsplätze. Der Konzern ist eine der letzten industriellen Kronjuwelen des Mutterlandes der industriellen Revolution und einer der wichtigsten Arbeitgeber.

Die größte Stärke von BAE könnte schon bald seine größte Schwäche werden. Das US-Geschäft ist seit Jahren die Cash-Cow der Briten. Dort aber sinken Umsätze und Gewinne. Nach der Präsidentschaftswahl müssen die USA ihre Haushalts- und Verschuldungsprobleme lösen. Ein rigider Sparkurs und sinkende Kriegskosten werden die Militärausgaben Washingtons wohl in den Sinkflug versetzen. Ab 2013 muss das Sparen beginnen. Auch Großbritannien muss seine unbezahlbare Rüstungsplanung in den kommenden Jahren reduzieren.

Aus Sicht der privaten Anleger, denen BAE gehört, sind das keine guten Aussichten. Sie erwarten hohe Renditen. BAE hat aber neben der Rüstung kein zweites Standbein, das diese erwirtschaften könnte. Seine Beteiligung an Airbus hat der Konzern vor Jahren verkauft. Die Fusion hätte ihn erneut bei Airbus ins Spiel gebracht. Bricht der US-Markt ein, so kann BAE seine Investoren nach dem Scheitern der Fusion nur zufrieden stellen, wenn der Export in andere Teile der Welt gesteigert wird, Konzernteile verkauft werden oder gar der Konzern in Gänze übernommen wird.

Ganz anders das Bild bei EADS. Die Rüstungstochter Cassidian lebt im Wesentlichen von den sinkenden Aufträgen europäischer Regierungen. Die Exporterfolge von Cassidian halten sich in Grenzen. Sie stehen zudem - ähnlich wie früher bei BAE - häufiger unter Korruptionsverdacht, und das US-Geschäft ist kaum mehr als ein Spielbein. Die EADS-Geschäftsführung muss sich also entscheiden, ob sie dieses Geschäftsfeld stärken oder ob sie es marginalisieren will. Würde man es marginalisieren, wäre man künftig allein von der stark schwankenden Auftragslage im zivilen Flugzeuggeschäft abhängig. Der US-Konkurrent Boeing wäre dann auf Dauer besser aufgestellt. Hier lag ein wesentliches EADS-Interesse an der Fusion mit BAE Systems

Warum aber ist das Fusionsvorhaben geplatzt? Gescheitert ist es an fehlenden politischen Rahmenbedingungen, unterschiedlichen Voraussetzungen und politischen Widersprüchen zwischen den wichtigsten drei beteiligten europäischen Ländern: Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Alle drei verfolgen unterschiedliche Konzepte. Europa ist derzeit nicht reif für die anstehende nächste Runde der Konsolidierung und Kapazitätsreduzierung im Rüstungsbereich.

Die britische Rüstungsindustrie ist in privater Hand und weitgehend monopolisiert. Der Staat mischt sich in das Tagesgeschäft einer Firma wie BAE Systems nicht ein, hat aber eine Art Vetorecht, wenn BAE teilweise oder ganz zum Verkauf stehen sollte. Ganz anders die Situation in Frankreich: Die französische Regierung nimmt auf die meisten wichtigen Rüstungsbetriebe Frankreichs direkt oder indirekt entscheidenden Einfluss und hält deshalb erhebliche Beteiligungen. Paris verfolgt im Rüstungsbereich industriepolitische Ziele: Frankreich soll bei der europäischen Integration im Rüstungsbereich zur Führungsmacht werden. Deutschland nimmt eine Mittelposition ein. Diese ist einerseits durch eine weitgehend privatisierte Rüstungsindustrie gekennzeichnet und andererseits darauf ausgerichtet, das rüstungsindustrielle Machtgleichgewicht mit Frankreich zu wahren. Dazu werden notfalls auch indirekte oder direkte staatliche Beteiligungen an Konzernen wie EADS in Betracht gezogen. Eine industriepolitische Strategie ist in Deutschlands jedoch kaum zu erkennen. Meist werden nur zwei Ziele sichtbar: Die Einhegung des französischen Führungsanspruchs und das Vermeiden eines französischen Zugriffs auf industrielle Kernfähigkeiten der Deutschen wie beispielweise den U-Boot- oder Panzerbau.

Wie skeptisch die Bundesregierung insbesondere den Führungsanspruch der Franzosen beäugt, machte jüngst der zuständige Unterabteilungsleiter im Verteidigungsministerium, Alexander Weis deutlich. Das Gebaren der Franzosen erschwert aus Sicht des Verteidigungsministeriums die gegenwärtigen Bemühungen, eine europäische Großdrohne auf den Weg zu bringen:

O-Ton Weis
„Was in den 80er Jahren die Entwicklung des gemeinsamen Kampfflugzeuges war, ist heute die Entwicklung eines UAV der MALE – Klasse. Die europäische industrielle Zusammenarbeit zu dem Thema Advanced UAV hat im Jahre 2009 ganz maßgeblich erneut unter dem französischen Führungsanspruch in der französischen Industrie gelitten. Dies beweist - und das ist mein zweiter       Punkt -, dass sich an der industriepolitischen Motivation insbesondere in Frankreich, insbesondere in der Frage der Luft- und Raumfahrtindustrie, nichts geändert hat.“

Angesichts der unterschiedlichen nationalen Ansätze wundert es daher nicht, dass sich die Regierungen in Paris, London und Berlin nicht auf die Fusion von EADS und BAE Systems einigen konnten. Insbesondere die deutsche Regierung hatte mangels eigener industriepolitischer Zielsetzungen vor allem grundlegende Bedenken. Verteidigungsminister Thomas de Maizière nannte kürzlich gleich drei Punkte:

O-Ton de Maizière
„Erstens muss man sagen, dass für uns die deutsch-französische Parität wie bei EADS auch bei einem gemeinsamen Unternehmen wichtig war – und zwar eine deutsch-französische Parität auf jeder Höhe, (...) Und der zweite Punkt ist: Es handelt sich um ein Unternehmen Luft – EADS – mit einem Komplettunternehmen – BAE - also auch Schiffe und Landfahrzeuge. Und ich finde, es liegt auch im deutschen Interesse, auch im Interesse eines deutschen Verteidigungsministers, einen Moment zu gucken, was das denn für die deutsche Land- und Schiffsindustrie im Rüstungsbereich bedeutet hätte. (...) Und das dritte Argument ist: Konsolidierung hört sich wunderbar an, bedeutet aber auch Monopolisierung der Anbieter.“

De Maizières zweiter Punkt – also der Schutz des deutschen Marineschiffbaus und der Hersteller von militärischen Ketten-und Radfahrzeugen - verdeutlicht die Perspektive: Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anpassungs- Restrukturierungs- und Konsolidierungsmaßnahmen alle Sektoren der europäischen Rüstungsindustrie erfassen soll. Der Versuch, EADS und BAE Systems zu verschmelzen, war dafür wohl nur ein erster Vorbote – auch wenn die Fusion schließlich scheiterte. Es wird weiterhin über Zusammenschlüsse nachgedacht. So hat die italienische Regierung nach dem geplatzten Mega-Deal EADS den lange als unverkäuflich geltenden Rüstungskonzern Finmeccanica als Partner angeboten.

Doch ganz gleich, ob die europäische Rüstungsindustrie sich schnell oder langsam mit Fusionen und Kooperationen auf künftig schwierigere Zeiten einstellt oder ob die Unternehmen auf die jeweilige Unterstützung ihrer nationalen Regierungen setzen - eines ist gewiss: Die Konzerne werden weiterhin versuchen, ihre Kapazitäten durch vermehrte Rüstungsexporte auszulasten. Auch dafür kann die gescheiterte Fusion zwischen EADS und BAE Systems als Beispiel dienen: Bei einem Zusammenschluss wären beide Unternehmen gemeinsam auf dem Weltmarkt als Anbieter aufgetreten. Sie hätten sich davon Synergieeffekte, eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit und ein besseres Angebotsportfolio versprechen können. Außerdem hätte der Mega-Konzern seine Exporte jeweils aus dem EU-Land abwickeln können, in dem er die erforderlichen politischen Genehmigungen am leichtesten bekommen hätte. Ein Idealfall, um die Erleichterungen der sogenannten europäischen Verbringungsrichtlinie, mit der Genehmigungsverfahren für Rüstungsgüter vereinfacht werden, umfassend nutzen zu können. Nun, da die Fusion gescheitert ist, konkurrieren EADS und BAE zwar weiterhin um lukrative Exportgeschäfte, sind aber auch noch stärker auf diese Rüstungsausfuhren angewiesen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS