Streitkräfte und Strategien - NDR info
10. Januar 2004


Noch mehr Einfluss auf EU - Europäische Rüstungslobbies in Brüssel vor Zusammenschluss

Christopher Steinmetz

Während die Politiker in Brüssel noch über das Für und Wider einer gemeinsamen EU-Rüstungspolitik verhandeln, haben die beiden größten europäischen Interessenverbände der Rüstungsindustrie bereits die Weichen gestellt für eine Fusion im Frühjahr. Damit wird die europäische Rüstungslobby auch 2004 den europäischen Regierungen wieder einen Schritt voraus sein. Die Rede ist vom Zusammenschluss der European Defense Industries Group - kurz EDIG - und der Association Européenne des Constructeurs de Materiél Aérospatial / AECMA.

Die AECMA vertritt die Interessen der Luftfahrtindustrie der EU-Staaten, Polens und der Tschechischen Republik. Das politische Gewicht des Verbandes in Zahlen: Der Gesamtumsatz der Mitglieder wird für 2002 auf 75 Milliarden Euro geschätzt, ein Drittel davon fällt auf den Rüstungssektor. Beschäftigt werden rund 410.000 Menschen.

Der andere Verband, die EDIG, wurde 1976 gegründet. 1990 als gemeinnützige Organisation anerkannt, erhielt sie per Vertrag 1993 einen Sonderstatus als Ratgeber und Beobachter bei der Westeuropäischen Union. Dort vertritt sie die Interessen der 15 nationalen Rüstungsverbände der Mitgliedsstaaten der Westeuropäischen Rüstungsgruppe innerhalb der WEU. Die Mitglieder des Rüstungsverbandes EDIG erzielten 2002 einen Umsatz von schätzungsweise 50 Milliarden Euro. Die Zahl der Beschäftigten liegt bei 400.000. Im Oktober und November wurden bei der EDIG und der AECMA die letzten Weichen für den Zusammenschluss gestellt. Und inzwischen scheint auch der kleine Lobbyverband der Raumfahrtindustrie, Eurospace, mit von der Partie zu sein.

Die geplante Bündelung der Lobbyaktivitäten kommt aber nicht überraschend. Mit den Vorbereitungen dafür war in den beiden europäischen Interessenverbänden bereits vor zwei Jahren begonnen worden. Schon seit längerem koordinieren sie ihr Vorgehen, wenn es darum geht, die EU-Politik zu beeinflussen. Etwa bei der Beratertätigkeit für das EU-Strategiepapier für die Luftfahrtindustrie im 21. Jahrhundert. Die Fusion ist nur die letzte Konsequenz der politischen Entwicklungen in der EU und wurde besonders durch zwei Aspekte gefördert.

Als erstes ist die Interessenidentität zu nennen. Alle Unternehmen und nationalen Verbände sind sich darüber einig, dass es einen freien EU-Binnenmarkt für Rüstungsgüter geben muss, dass es EU-Fördertöpfe für militärische Forschungs- und Entwicklungsprogramme geben soll, und dass generell die politischen Entscheidungskompetenzen gebündelt werden müssen, z.B. bei Rüstungsexporten und Beschaffungsfragen. Natürlich haben kleine- und mittelständische Unternehmen teilweise andere Interessen als die transnationalen Konzerne. Die Luftfahrtbranche, als vollintegrierter Industriezweig, hat andere Zielsetzungen als der kleinteilig strukturierte Rüstungssektor für landgestützte Waffensysteme. Trotz allem gibt es derzeit einen Konsens, dass es gegenwärtig auf europäischer Ebene vor allem um das große Ganze der zukünftigen Rüstungsstrukturen geht. Danach kann man immer noch über das "Kleingedruckte" streiten.

Zweitens geht es um das zukünftige politische Gewicht der Lobbyverbände in den EU-Entscheidungsprozessen, da die WEU ihre Aktivitäten weitestgehend einstellen wird. Die Rüstungslobby geht davon aus, dass sie nach Überführung der letzten Aufgaben der Westeuropäischen Rüstungsgruppe in die Zuständigkeit der EU dort nicht automatisch erneut eine monopolartige politische Sonderstellung erhalten wird. Die Folge: Die EDIG müsste sich im Kampf um die Aufmerksamkeit der Politiker und Bürokraten beispielsweise gegen Automobil- oder Chemieverbände durchsetzen. Die Fusion mit der größeren Luftfahrt-Lobby würde dieses Problem entschärfen.

Umgekehrt hat auch die AECMA ein Interesse an einem Zusammenschluss. Denn fast alle großen Luftfahrtunternehmen haben ein starkes Standbein im Rüstungsbereich und pflegen dieses u.a. als Auftragsreserve in Zeiten wirtschaftlicher Flaute. Darüber hinaus drängen die Luftfahrtriesen zunehmend auch in andere Rüstungssparten. Gegenüber der EU-Kommission und dem Europäischen Konvent hat der Lobbyverband daher immer wieder betont, dass die Sektoren Luftfahrt, Raumfahrt und Rüstung sich gegenseitig bedingen und daher zusammen behandelt werden müssen: Es dürfe keine sektorale Herangehensweise geben. Gemeinsam werden der Rüstungsverband EDIG und die Luftfahrt-Vereinigung AECMA außerdem alles versuchen, um den gegenwärtigen Sonderstatuts der Westeuropäischen Rüstungsgruppe in die EU zu retten. Das Ziel ist dabei, als anerkannte "strategische Industrie" noch besser Einfluss auf die Politik nehmen zu können.

Dank des privilegierten Informationszuganges ist es der Rüstungslobby EDIG bereits in den vergangenen Jahren gelungen, immer besser die politische Agenda mitzubestimmen. Deutlichste Belege dafür waren entsprechende Stellungnahmen und Berichte der EU-Kommission, die unter Mitwirkung der EDIG entstanden sind und derzeit die Debatten bestimmen. Dazu gehört beispielsweise der Report über die "Herausforderungen für die Europäische Rüstungsindustrie" von 1996 oder der ein Jahr später samt Aktionsplan vorgelegte Bericht zur "Umsetzung der Unionsstrategie im Bereich der Verteidigungsindustrie". Außerdem war der Verband u.a. an den Ausschüssen der Westeuropäischen Rüstungsgruppe zur Standardisierung der Rüstungsgüter und zur Erarbeitung der einzelnen Forschungsprogramme beteiligt.

Nach den Beschlüssen des EU-Gipfels von Laeken 2001 verstärkte die europäische Rüstungslobby den Druck auf die Brüsseler EU-Akteure. Arbeitsgruppen begannen Expertisen zum Europäischen Unternehmensrecht oder dem Nutzen von Informationstechnologien anzufertigen. Gespräche wurden gesucht mit den EU-Generaldirektionen Forschung, Handel, Industrie und Wettbewerb. Im Rahmen der Arbeit des EU-Konvents hat man erfolgreich Kontakte zur Arbeitsgruppe "Verteidigung" geknüpft. Auch einzelne Abgeordnete des Europäischen Parlaments wurden gebeten, die Interessen der EDIG in die Verfassungsdebatte einzubringen. Am Ende fiel das Resümee der Rüstungslobby positiv aus: Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe enthalte die meisten von der Rüstungsindustrie gewünschten Voraussetzungen für einen Europäischen Rüstungsmarkt.

Der vielleicht sichtbarste Erfolg für die Lobbyverbände in den letzten Jahren war die Aufnahme der Finanzierung militärischer Forschungsprojekte in den 6. Rahmenplan für Forschung und Entwicklung der EU. Bislang konnten Luft- und Raumfahrtunternehmen nur über sogenannte "Dual use" – Forschungs-programme einen Teil der für diesen Sektor verfügbaren Mittel auch in militärische Vorhaben stecken. Dual use – das sind Projekte, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Ab 2004 können EU-Gelder nun auch direkt für Rüstungsvorhaben vergeben werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben die drei Lobbyverbände seit Ende 2002 ihre Bemühungen in diesem Feld koordiniert. Am 30. Juli präsentierten EDIG, AECMA und Eurospace dann der EU-Kommission gemeinsam ihre Vorschläge für die inhaltlichen Schwerpunkte und Modalitäten eines Europäischen Forschungsprogramms für Sicherheit. Um jetzt bei der zweiten Vergaberunde im Rahmen des 6. Rahmenprogramms besser berücksichtigt zu werden, haben die drei Lobbyverbände bereits ein Industrielles Koordinationsgremium für diese Forschungsprogramme gegründet. Sie sollen Förderschwerpunkte festlegen, Pilotprojekte entwickeln und umsetzen – als "Hilfestellung" für die EU- Kommission.

Der hohe Aufwand, den die Lobbyverbände in Brüssel betreiben, zeigt, dass die Verantwortlichen von einer weiteren Verlagerung der Entscheidungs-kompetenzen und planerischen Zuständigkeiten hin zur EU ausgehen. Und dafür wollen sie gewappnet sein. In den nächsten Wochen werden die Modalitäten der künftigen Europäischen Beschaffungsagentur festgeklopft. Möglicherweise wird auch eine entsprechende Agentur für militärische Forschungsprogramme gegründet. Weitere wichtige Entscheidungen werden bei der Ausgestaltung des europäischen Rüstungsmarktes und des Exportes in Drittstaaten getroffen werden.

Mehr als 10 Jahre konnte die Rüstungslobby in Brüssel für ihre Ideen und Interessen werben – ohne gesellschaftliches Gegengewicht. Die Rüstungsverbände gelten dort per se als glaubwürdige Gesprächspartner und verfügen sogar über einen privilegierten Beraterstatus. Für die EU-Beamten und Politiker reichte es daher aus, zwischen sich und der Industrie den Interessenausgleich zu erreichen.

Eine Unternehmerweisheit lautet: "Lobbying ist teuer, kein Lobbying ist viel teurer". Diese Aussage wird bis heute von Rüstungskritikern und Interessenvertretern der Steuerzahler kaum zur Kenntnis genommen. Dabei sollte das Feld in Brüssel nicht wie bisher allein den bisherigen Nutznießern der nationalen Rüstungsetats überlassen werden. Demokratische Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene erfordern Transparenz und ein Gegengewicht.

 

   ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS.