Verwundbare Passagierflugzeuge
Terrorangriffe mit schultergestüzten Flugabwehr-Raketen?
von Susanne Härpfer
Seit Weihnachten soll in den USA mehr als 30 Mal versucht worden sein, per Laser Piloten
von Zivilmaschinen zu blenden und so die Flugzeuge zum Absturz zu bringen, meldeten
amerikanische und kanadische Zeitungen. Per Laser werden allerdings auch moderne Versionen
schultergestützter Flugab-wehrraketen in Ziele wie Flugzeuge gelenkt. Die schwedische RBS
70 oder das britische Starstreak sind solche sogenannten "Manpads" der neuesten
Generation. Auf Anfrage von "Streitkräfte und Strategien" antwortete der
Sprecher des FBI, William David Carter, die Bundespolizei untersuche zur Zeit diese
Vorfälle. Bislang gebe es jedoch keine spezifischen oder glaubwürdigen Informationen,
die auf einen terroristischen Hintergrund schließen ließen. Allerdings würden als
Vorsichtsmaßnahme die Motive der Laser-Vorfälle untersucht. Was auch immer der Grund
für das Blenden mit Lasern war: Sicherheitsexperten befürchten Angriffe auf
Passagiermaschinen mit Flugabwehrraketen jeglicher Bauart, mit oder ohne Laser. Das
Londoner Institut für Strategische Studien schätzt, dass 20 Terrororganisationen über
diese Waffen verfügen. Experten des renommierten Fachverlages "Janes"
gehen sogar von 30 Extremisten-Gruppen aus. 4.000 SAMīs, wie die Boden-Luft-Raketen auch
genannt werden, sollen nach neuesten Schätzungen im Irak verschwunden sein. Zuletzt wurde
ein Airbus A 300 der Frachtfirma DHL beim Anflug auf Bagdad mit einer solchen Waffe
attackiert. Der bekannteste Angriff auf eine Passagiermaschine ereignete sich im November
2002. Eine Boeing der israelischen Luftfahrtgesellschaft Arkia wurde nach dem Abflug aus
Mombasa Richtung Tel Aviv durch zwei tragbare Flugabwehrraketen vom sowjetischen Typ SA-7
beschossen. Die Passagiere überlebten. Die Raketen waren schlecht gewartet oder die
Terroristen nicht richtig ausgebildet. Ein Warnschuss gewissermaßen. Der Anschlag war
beileibe kein Einzelfall.
In Ruanda löste der Abschuss des Flugzeuges von Präsident Habyarimana 1994 den
Völkermord mit aus. Der vermutlich erste Anschlag auf eine Zivilmaschine ereignete sich
1983. 130 Menschen kamen ums Leben als eine angolanische Boeing abgeschossen wurde. Nach
Berichten des Fachmagazins "Jane's" wurden von 1975-1998 insgesamt 24 zivile
Flugzeuge mit mehr als 600 Menschen durch tragbare Flugabwehrraketen vom Himmel geholt.
Andere gehen sogar von 40 Maschinen aus. Darin sind nicht die Angriffe von afghanischen
Mujahedin auf russische Flugzeuge enthalten. In den 80er Jahren übergab die CIA 500 bis
1.200 Stinger-Raketen an die afghanischen Mujahedin, damit sie sowjetische Flugzeuge und
Hubschrauber erfolgreich bekämpfen konnten. "Wir verteilten sie wie Lollipops",
zitiert der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom einen Beamten des Pentagon, der den
leichtfertigen Umgang mit den High-Tech-Waffen kritisierte. Selbst mit einer exorbitant
teuren "Rückkauf-Aktion" gelang es nicht, alle Raketen zurückzubekommen.
Seitdem vagabundieren die Waffen um den Globus und bedrohen Zivilmaschinen weltweit.
Selbst ältere Modelle wie die russische Strela reichen aus, um startende oder landende
Flugzeuge zu gefährden. Deshalb wurden nach amerikanischen Angaben jetzt am Flughafen von
Los Angeles spezielle Schutzmaßnahmen getroffen - die Flughäfen von Manila und Athen
wurden inspiziert. Seitdem bei der Festnahme des mutmaßlichen ETA-Chefs in Frankreich
zwei Boden-Luft-Raketen gefunden wurden, ist die Bedrohung für Passagiermaschinen näher
gerückt. Fünf der gefährlichen Waffen sollen Anfang des Jahres in den Gaza Streifen
geschmuggelt worden sein, berichtete Israels Inlandsgeheimdienstchef Avi Dichter der
Knesset. Im vergangenen Monat wurden "Manpads" in Albanien sichergestellt, die
in Bosnien gekauft worden sind. Wegen der von diesen Waffen ausgehenden Bedrohung werden
Militärmaschinen schon lange mit Abwehrsystemen ausgestattet. Das gilt für die deutsche
Transall, aber auch für die Maschine des amerikanischen Präsidenten und Flugzeuge von
anderen Prominenten. Die meisten Schutzsysteme basieren auf der Irreleitung des
feindlichen Flugkörpers mit sogenannten Düppeln. Diese mit Metallen beschichteten
Aluminiumstreifen reflektieren die Radarstrahlen und lenken durch Veränderung des
Radarbildes einen feindlichen Flugkörper ab. Auch Täuschkörper, die eine extreme Hitze
erzeugen, sogenannte "flares", lenken Raketen ab.
Nun sollen auch zivile Flugzeuge mit dieser Militärtechnik ausgestattet werden. Die
israelische Zeitung Haaretz berichtete, die Fluggesellschaft El-Al wolle eine ihrer
Passagiermaschinen mit einem Raketenabwehr-System ausrüsten. Verblüffend an der Meldung
ist, dass jetzt der Einbau solcher Systeme angekündigt wird. Denn bereits im
Oktober 2003 hatte der frühere Direktor für Sicherheitsfragen der israelischen Fluglinie
Yuval Aviv behauptet, El Al-Maschinen seien bereits mit "flares" ausgestattet,
die Raketen ablenken. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Aviv als Antiterrorismus consultant
der Firma Interfor Inc. für die US-Regierung. Möglicherweise wollte er mit seiner
Aussage die US-Regierung zum Kauf der Technik bewegen. Ebenso ist es möglich, dass die
israelische Fluglinie die Bedrohungslage bereits im Jahr 2002 so ernst nahm, dass sie
behauptete, geschützt zu sein, obwohl dieses nicht der Fall war, um so potentielle
Terroristen abzuschrecken. Die Fluglinie war gegenüber "Streitkräfte und
Strategien" zu keiner Stellungnahme bereit, auch die Produktionsfirma des Systems
reagierte nicht auf eine entsprechende Anfrage.
In den USA wehrten sich die Luftfahrtgesellschaften lange gegen Schutzsysteme wegen der
befürchteten Kosten. Knapp 7.000 zivile Flugzeuge müssten mit Abwehrsystemen
ausgestattet werden. Die Kosten pro Maschine: ca. 1 Million Dollar. Im Vergleich zu den
Schäden, die bei einem spektakulären Anschlag mit diesen Raketen entstünden, seien die
Ausgaben aber gerechtfertigt, meint Sicherheitsexperte Aviv. Allerdings gibt es noch
ungeklärte Fragen. Welche Schäden könnten die Täuschsysteme anrichten; zum Beispiel
wenn sie über Städten gezündet werden? Wer käme für die Kosten auf? Pikant ist: die
meisten Anbieter von Abwehrsystemen stellen selbst die Waffen her, vor denen sie schützen
sollen. Noch pikanter: Nach eigenen Angaben soll es bislang keinen Schutz vor den
modernsten Raketen-Versionen geben. Dies gilt für die
"Javelin"-Flugabwehrrakete von Thales Air Defence Ltd, die ihr Ziel mit Hilfe
einer Fernsehkamera anvisiert. Dies gelte aber auch für lasergestützte Systeme, so eine
Studie des Congressional Research Service vom vergangenen Jahr. Damit Zivilmaschinen
künftig geschützt werden, hat der US-Senat 60 Millionen Dollar für die Forschung
bewilligt. Das US-Ministerium für Heimatverteidigung hat BAE Systems, Northrop Grunman
und United Airlines beauftragt, Raketenabwehrsysteme für zivile Flugzeuge zu entwickeln.
15 Projekte werden finanziert vom Joint Aircraft Survivability Program Office, kurz Jaspo.
Neben dem Militär sind bislang Frachtunternehmen die Hauptabnehmer von Warn- und
Ablenkeinrichtungen. Die Lufthansa Technik bietet zusammen mit EADS an, Privat- und
Regierungsmaschinen mit Raketenblendern auszustatten. Für die Passagiermaschinen sei dies
aber nicht geplant. Weshalb ein Tochterunternehmen der Lufthansa Schutzsysteme anbietet,
diese aber nicht in Passagiermaschinen eingebaut werden sollen, wollte Sprecher Michael
Lamberty gegenüber "Streitkräfte und Strategien" nicht erklären. Ein
Forschungsgremium der Europäischen Kommission sollte bis zum Ende 2004 darüber
entscheiden, welches Abwehrsystem am Vielver-sprechendsten ist. Dies wurde auf den Sommer
verschoben.
Der beste Schutz ist noch immer eine Kontrolle der Flugabwehrraketen. Den Handel mit
tragbaren Flugabwehrraketen zu beschränken, wurde das erste Mal 1994 gefordert. Vom
Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, kurz BITS, und der
Nichtregierungsorganisation BASIC. Das aber hätte Einschnitte in die Geschäfte der
großen Rüstungsunternehmen zur Folge.
In den USA ging man daher einen anderen Weg: Das Ministerium für Heimatschutz und die
US-Luftfahrtbehörde wurden offiziell verpflichtet, zuverlässige Schutzsysteme für
Passagiermaschinen entwickeln zu lassen und ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Damit
wird den Firmen weiterhin Gelegenheit gegeben, doppelt zu verdienen. Durch die Produktion
der Flugabwehrraketen und der entsprechenden Abwehrsysteme.
Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.
|