16. November 2002
Streitkräfte und Strategien, NDR info

 

Eine unterschätzte Bedrohung? Terroristische Angriffe auf Schiffe und Hafenanlagen

 von Susanne Härpfer  

Die Vereinigten Staaten von Amerika werden angegriffen - Terroristen lenken zeitgleich Flugzeuge in die wichtigsten Gebäude der USA. Seit dem 11.September ist das Unvorstellbare wahr geworden. Seitdem fragen sich nicht nur Sicherheitsexperten, was kommt als nächstes? Die Terroristen sind in die Lufthoheit der Weltmacht eingedrungen. Folgt man der Logik, müssten sie nun an Land und auf See attackieren. Denkbar wäre folgendes Szenario: Terroristen entführen mehrere Chemietanker und lassen sie in Häfen explodieren. Besonders betroffen: Rotterdam, London, Tokio, Singapur oder auch Hamburg. Wie real die Bedrohung ist, zeigte sich im Oktober vergangenen Jahres. Attentäter versenkten den Tanker "MV Silk Pride" vor der Küste von Sri Lanka, ein weiterer Öltanker wurde entführt, konnte aber zurückerobert werden. Nach dem Anschlag auf den französischen Öltanker "Limburg" vor dem Jemen, gab es konkrete Warnungen für die norddeutsche Küste. Das sagen Beamte, die deshalb ihre Patrouillen verstärkten. Am vergangenen Wochenende wurden deutsche Ostseehäfen schärfer kontrolliert. Und als kürzlich in Hamburg ein NATO-Verband von Minenabwehrbooten zu Besuch war, gab es eine Terrordrohung. Sieben Schiffe wurden verlegt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Der Bundesgrenzschutz überarbeitet gerade seine Einsatzkonzepte. Dennoch fürchten deutsche Fachleute einen Angriff unmittelbar an der Küste. Sie wissen, dass sie nicht viel tun können. Im Spielfilm putzt der Held die Bösewichter von den Planken. Nicht so in der Wirklichkeit. Terroristen vor der deutschen Küste sind schlicht nicht vorgesehen. Sollte dennoch eine Fähre gekapert oder auf einem Container-Frachter versteckte Massenvernichtungswaffen zum Einsatz kommen, müssten Fregatten der deutschen Marine tatenlos zuschauen. Denn die Marine, so Michael Werner vom Bundesministerium der Verteidigung, "dürfte nach Auffassung des Hauses aus Gründen des innerstaatlichen Rechts nicht tätig werden". Grund sei die Trennung zwischen militärischem Einsatz und polizeilichem Einsatz. Solange die Terroristen also nicht auf hoher See, sondern vor der Küste innerhalb der Hoheitsgewässer Anschläge verüben, dürfen nur

Wasserschutzpolizei und der Bundesgrenzschutz eingreifen. Nun sind die Beamten bestimmt tapfer, allerdings fehlt ihnen die Ausstattung. So räumen das Bundesinnen- und das Bundesverkehrsministerium ein: "In letzter Konsequenz wäre auch der Einsatz einer Distanzwaffe rechtlich zulässig. Allerdings: Darüber verfügen weder Wasserschutzpolizei noch der BGS."

Es ist schon paradox: Wenn Terroristen vor der deutschen Küste angreifen, dann hätte die Marine die Mittel, sie auszuschalten, darf aber nicht eingreifen. Und Wasserschutzpolizei und BGS müssen zwar etwas tun, sind dazu aber nicht in der Lage. Das ist so, als ob Soldaten in Afghanistan mit Platzpatronen ausgestattet wären.

Findige Juristen suchen daher nach einem Ausweg: Professor Rüdiger Wolfrum vom Internationalen Seegerichtshof in Hamburg meint, dass die deutsche Marine durchaus in deutschen Küstengewässern gegen terroristische Akte vorgehen darf, z.B. wenn es sich bei der Reaktion um einen Akt der Selbstverteidigung handelt. Zugleich schlägt er vor, den Staaten die Unterstützung von Terror vertraglich zu verbieten. Länder die dagegen verstoßen, könnten dann zur Verantwortung gezogen werden. Möglich sein müsste für Wolfrum dabei auch der uneingeschränkte Zugriff auf staatliches Vermögen. Trotzdem sieht der Professor durchaus Lücken im geltenden Seerecht. Das Völkerrecht gehe von einer strafrechtlichen Verfolgung aus. Davon aber ließen sich Selbstmordattentäter nicht abschrecken.

Man sollte meinen, Lücken im Recht gibt es doch nur, wenn ein Phänomen neu ist. Terrorakte zur See aber sind nichts Neues. Traurige Berühmtheit erlangte der Anschlag auf ein Mitglied des britischen Königshauses 1979. Die IRA verübte ein Bombenattentat auf die Yacht von Lord Mountbatten. Und im Persischen Golf gab es bereits zahlreiche Angriffe auf Öltanker. Mit Szenarien möglicher terroristischer Angriffe auf Schiffe und Hafeneinrichtungen hat man sich bereits in den 80er Jahren beschäftigt. Für die "Rand Corporation", eine US-Forschungseinrichtung, ist damals durchgespielt worden, wie verwundbar der Hafen von Rotterdam ist, erinnert sich der Terrorismusexperte David Schiller. Doch es scheint, dass nur die Terroristen gelernt hätten.

Die Attentäter des 11. September hatten an Flugsimulatoren geübt. Es gibt auch Simulatoren für das Manövrieren von Schiffen. Die Auskunft des Bundesinnen- und Verkehrsministeriums beruhigt wenig: "Die Simulatoren stehen bisher in Deutschland nur Studenten und Absolventen der Seefahrtschulen sowie Lotsen und Anwärtern unter kontrollierten Bedingungen offen", so heißt es. Die Attentäter des 11. September waren auch Studenten.

Terroristen, die Bohrinseln sprengen, Terroristen, die Schiffe mit Flüssiggas in Flussmündungen steuern, wo sie vom Tidenhub auseinandergerissen werden –das Internationale Schifffahrtsbüro IMB mit Sitz in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur warnt in seinem Jahresbericht vor Schiffen als Waffe. Mit den richtigen Beziehungen sei es für Kriminelle ein Kinderspiel, an gefälschte Schiffspapiere zu kommen. Insbesondere die Amerikaner fühlen sich bedroht, verlangen rigorose Maßnahmen. Die Schifffahrts-Organisation International Maritime Organisation, kurz IMO, soll daher im kommenden Monat beschließen, sofort alle Frachter mit dem automatischen Identifikationssystem AIS nachzurüsten. Die Elektronik würde laufend Informationen über Typ und Herkunft der Schiffe übermitteln. Nicht nur an die Sicherheitsbehörden, sondern auch an potentielle Terroristen, kritisiert Detlef Meenke vom Verband Deutscher Reeder. Trotzdem glaubt er, dass AIS zur Pflicht wird - aber nicht vor 2004. Auch soll eine Schiffsakte eingeführt werden. Dabei weiß man doch schon heute bei der Lloyds-Versicherung in London, wer seriös ist, und wer nicht, wendet Meenke ein. Wenig Verständnis hat der Reeder-Vertreter für die Forderungen nach Anti-Terror-Beauftragten auf jedem Schiff. Sicherheitspläne, regelmäßige Übungen mit der Mannschaft machen mehr und besser ausgebildetes Personal nötig. Das wird teuer. Bislang kommen die meisten Seeleute aus Billiglohn-Ländern. Die können sich oft noch nicht einmal untereinander verständigen. Das ist fatal, selbst wenn es nur darum geht, Piraten abzuwehren. 335 solcher Überfälle wurden im vergangenen Jahr gemeldet. Mit Sicherheitstechnik wie Bewegungsmeldern, Frühwarnsystemen und Nachtsichtgeräten werden bislang nur besonders gefährdete Güter geschützt.

In europäischen Häfen sollen künftig amerikanische Zöllner Container vor ihrer Verladung kontrollieren dürfen. Die USA wollen so verhindern, dass Massenvernichtungswaffen auf diese Weise nach Amerika geschmuggelt werden. Eine umstrittene Maßnahme. Denn immerhin wäre so auch der Möglichkeit zur Wirtschaftsspionage das Tor geöffnet.

Aber selbst die Amerikaner sind keine Musterschüler in Sachen Schiffs-Sicherheit. Richard Marcinko hatte als Leiter einer Spezialeinheit von Navy Seals eine besondere Aufgabe. Er sollte die Sicherheit von amerikanischen Marine-Stützpunkten testen. Quasi wie beim Testklau im Supermarkt, simulierte er mit seinem Team terroristische Angriffe. Das Ergebnis war peinlich für die Navy. Die Sicherheitsvorkehrungen waren so lax, das Marcinko immer erfolgreich war.

Selbst wenn die Schifffahrts-Organisation IMO also allen amerikanischen Forderungen nachkommen sollte - eine Sicherheitsgarantie wäre es noch immer nicht. Umsetzen, also bezahlen, müssten die Beschlüsse hauptsächlich die deutschen Küstenländer. Das steht für das Bundesinnenministerium jetzt schon fest. Die Länder aber haben kein Geld. Gute Zeiten also für Terroristen.

 

Susanne Härpfer ist freie Fernsehjournalistin.