30. Juni 2001
Streitkräfte und Strategien, NDR info


Nebelkerzen im Doppelpack?

 von Susanne Härpfer und Otfried Nassauer  

[Manchmal gilt es, genau hinzuhören, was wirklich gesagt wird. Immer, wenn es um viel Geld geht, ist solche Vorsicht geboten. Am 21. Juni ging es um viel Geld. Vordergründig wurde an diesem Tag der Bericht des Arbeitsstabes Dr. Sommer vorgestellt – jener Bericht, der untersuchen sollte, ob sich das Bundesverteidigungsministerium in Sachen Uranmunition und in Sachen "erkrankte Radartechniker" etwas zu Schulden kommen ließ. In beiden Fällen geht es möglicherweise um viel Geld für die Entschädigung und Versorgung von Bundeswehrangehörigen, die bei der Berufsausübung zu Schaden kamen. Der Bericht umschifft wesentliche Fragen und vernebelt so manches, was der Klärung bedurft hätte.]

Viele ehemalige Radartechniker der Bundeswehr sind erkrankt. Sie leiden an Krebs, Herzrhythmusstörungen, Kopfschmerzen, Erschöpfung und Tumoren. 230 haben Anträge auf Entschädigung oder Versorgung gestellt. Ihre Erkrankungen – das bestätigt auch der Bericht Sommers – können auf ihre berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden. Dort waren sie schädlicher Radarstörstrahlung ausgesetzt. Bislang mußten die Opfer und ihre Angehörigen langwierige Prozesse führen. Wird das nun anders?

Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping verkündete am 21. Juni: "Ich bin für ein generöses Verhalten bis an die Grenzen dessen, was das Gesetz vorschreibt." Ein Satz für die Goldwaage. Denn sogleich schränkte der Minister ein: "Ich kann Gesetze nicht außer Kraft setzen." Generosität also in den engen Grenzen des deutschen Gesetzesdschungels und unterschiedlicher behördlicher Zuständigkeiten. Wenn nicht alles täuscht, heißt es für die Betroffenen auch weiterhin: Der Weg ist der Weg zum Gericht.

Hierzu muß man wissen: Grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen Entschädigung und Versorgung. Entschädigt wird durch die Bundeswehr, wer durch die Arbeit für die Bundeswehr zu Schaden kam. Eine regelmäßige Rente wegen Berufsunfähigkeit aber heißt Versorgung. Für die Versorgung berufsunfähiger Soldaten, die noch im Dienst sind, ist die Bundeswehr zuständig. Ehemalige Soldaten und Zivilbeschäftigte müssen sich dagegen an Versorgungsämter und Sozialgerichte wenden, um Versorgungsleistungen zu erhalten. Diese unterstehen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und wenden in solchen Fällen zugleich das Soldatengesetz an. Zwischen diesen Zuständigkeiten werden die Betroffenen zerrieben. Um Scharpings Wort von der Großzügigkeit Taten folgen zu lassen, müßten die zersplitterten Zuständigkeiten geändert werden. Doch genau um diese Empfehlung drückt sich der Bericht Sommers. Zitat: "Es wäre vermessen, wollte der Arbeitsstab eine grundsätzliche Neuregelung des Versorgungswesens vorschlagen." Im Klartext: Alles bleibt wie es ist.

Hinzu kommt, daß auch die Justiz auf ihre Unabhängigkeit pocht. Diese Erfahrung macht Gerda Brockmann, deren Mann 1996 an Leukämie verstarb. Seit 1996 muß sie vor dem Landessozialgericht München um Anerkennung seiner Wehrdienstbeschädigung kämpfen. Rainer Brockmann hatte als Radartechniker und später als Lehrer an einem Radargerät vom Typ CPN-4 gearbeitet, dem gleichen Gerät, an dem auch Peter Rasch, der Sprecher der Interessensgemeinschaft Radargeschädigter tätig war. Der gewann sein Verfahren nach Jahren. Das Gesetz aber sieht Einzelfallentscheidungen im Bereich der jeweiligen Zuständigkeiten vor. Solange dies nicht geändert wird, entscheiden Richter, nicht Minister.

Und damit sind wir schon beim nächsten Problem. Der Bericht des Arbeitsstabes geht davon aus, daß – wie im Rasch-Verfahren gerichtlich festgestellt - ionisierende Radarstörstrahlung die Erkrankungen verursachte. Diese monokausale Erklärung blendet eine zweite mögliche Ursache aus. Für sie steht der Fall Runge gegen die Bundesrepublik Deutschland. Peter Runge war bis 1992 Radartechniker beim Marinefliegergeschwader 2. Er leidet an Allergien, Augenproblemen, Unruhe und Elektroempfindlichkeit. In seinem Fall muß entschieden werden, ob ionisierende Radarstörstrahlung oder HF-Strahlung, also elektromagnetische Strahlung im Hochfrequenzbereich, die Krankheitsursache ist. Der Unterschied ist bedeutsam: Ist die ionisierende Strahlung ursächlich, so bekommt Runge Geld, weil seine Krankheit in der Berufskrankheitenverordnung verzeichnet ist; ist die HF-Strahlung ursächlich, so geht er leer aus. Dort steht sein Krankheitsbild nicht auf der Liste. 1964 ereignete sich ein spektakulärer Unfall, der der Berufgenossenschaft für Feinmechanik bekannt ist. Drei Radartechniker gerieten in ein Radarfeld. Alle mußten tagelang im Krankenhaus behandelt werden. Einer erlitt 16 Tage später einen Herzinfarkt. Etliche folgen bis er vier Jahre später an einem starken Infarkt verstarb. Die HF-Strahlung – so damals die Schlußfolgerung - sei für die Krankheitsbilder ursächlich gewesen. In der Berufskrankheitenverordnung aber ist bis heute nur eine Krankheit als Folge dieser Strahlung anerkannt: Der graue Star.

Dr Sommer und sein Arbeitsstab verfahren dagegen wie der Namensvetter in der Bravo. Sie berufen sich auf einen Professor. Eduard David von der Universität Witten bestreitet, daß HF-Strahlung Krebs erzeugen könne. Alles weitere sei Spekulation.

Auf die Versprechungen ihres obersten Dienstherren vertrauen viele Geschädigte nicht mehr. Sie haben sich an einen Berliner Anwalt gewandt, der gegen die Hersteller der Radargeräte eine Sammelklage vorbereitet. Die Hersteller sitzen zumeist in den USA und dort ist das Haftungsrecht besonders strikt.

Entwarnung gibt der Sommer-Bericht bei der Munition aus abgereichertem Uran, kurz DU-Munition. Zum Einsatz kam sie im Kosovokrieg und in Bosnien. Über potentielle Gesundheitsrisiken für Soldaten und Zivilisten tobte Anfang des Jahres eine heftige Debatte. Diese vollzog in kürzester Zeit all die Argumente nach, die in den USA und Großbritannien seit Jahren ausgetauscht werden. Dort wird darüber gestritten, ob die Uranmunition ursächlich für die Erkrankungen vieler Golfkriegsveteranen war. Also auch hier: Es geht potentiell um viel Geld für die Entschädigung und Versorgung von Soldaten.

Dr. Sommer und sein Stab kommen zu einem klaren Ergebnis: Ein Gefährdung von Soldaten und Zivilbevölkerung habe es nicht gegeben. Für die Leukämiefälle unter in Bosnien und im Kosovo eingesetzten Soldaten könne die Uranmunition nicht ursächlich sein. Die Strahlung sei viel zu niedrig gewesen, der zeitliche Abstand zwischen Einsatz und Erkrankung zu kurz. Auch die chemische Toxizität des Materials könne die Erkrankungen nicht erklären. Mit diesen Feststellungen komme man zu gleichen Ergebnissen wie eine Vielzahl anderer Studien. Fehler im Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministeriums habe es bei der Öffentlichkeitsarbeit und bei der Belehrung der Soldaten vor Ort gegeben. Versteckt im Text der Hinweis, dass drei der fünf deutsche Kosovo-Kontingente nicht spezifisch über den Umgang mit DU-Munition unterrichtet wurden. Über Bosnien kein Wort.

Wer nicht gut fragt, bekommt auch keine guten Antworten. Eine bekannte journalistische Weisheit. Der Arbeitsstab Sommer scheint sie nicht beherzigt zu haben. Er hat sich darauf beschränkt, jene Fragen erneut abzuarbeiten, die auch in der Literatur zu möglichen Gesundheitsrisiken von DU-Munition vorkommen. Neue Fragen wurden nicht aufgeworfen.

Dabei gibt der Bericht selbst Anlass, nachzufragen. Er beschreibt, dass US-Soldaten die Einsatzorte der Uranmunition im Kosovo sofort nach dem Einmarsch gründlich von Munitionsresten gereinigt haben – "wie geharkt" habe die Bundeswehr sie vorgefunden. Ein höchst ungewöhnlicher Befund und ein völlig unnützer Aufwand, wenn die Risiken so gering wären wie der Bericht sie einschätzt.

Zwei Fragenkomplexe werden gemieden bzw. umschifft. Erstens: Trifft Uranmunition einen Panzer, so entsteht eine Aerosolwolke, in der nicht nur Uranoxide, sondern auch viele andere hochtoxische, zum Teil sehr krebserregende Stoffe enthalten sind: Dioxine, Furane, TNT und PCB beispielsweise. Diese stammen aus den Überresten des entzündlichen Innenlebens des Panzers. Wind und Wetter entscheiden, wo sie niedergehen. Untersuchungen über die Wanderungsbewegungen und die gesundheitlichen Wirkungen dieses giftigen Cocktails sind nicht bekannt.

Zweitens: Bekannt ist dagegen, dass besonders kleine Partikel bestimmter Stoffe eine viel höhere toxische und krebserregende Wirkung haben können als derselbe Stoff sie normalerweise aufweist – vor allem dann, wenn sie über die Atemluft in die Lunge gelangen. Seit Jahren gibt es in der zuständigen Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine Diskussion über die Grenzwerte für ultrafeine Stäube am Arbeitsplatz. Beim Einschlag von Uranmunition in gepanzerte Fahrzeuge und möglicherweise auch in andere harte Ziele entstehen Kleinstpartikel. Abzuleiten, dass diese unschädlich sind, da Golfkriegsveteranen, die Splitter von Uranmunition im Körper tragen, bislang nicht an Krebs erkrankten, ist zumindest leichtsinnig.

[Zur Aufklärung des Sachverhaltes trägt der Sommer-Bericht nichts Neues bei. Neue, gute Fragen zu stellen, war aber wohl auch nicht das Interesse von Dr. Sommer und seinem Auftraggeber. Dieses spiegelt sich ganz offen in einem einzigen Satz: "Rechnet man den Imageschaden und den Vertrauensverlust der eigenen Leute, den jede negative Schlagzeile der Bundeswehr einbringt, so ergibt sich ein ganz anderer Saldo". Wie sagte Rudolf Scharping in all seiner Großzügigkeit am 21. Juni? Er wünsche keinen Streit mit den Radartechnikern. Und – Zitat – "im Übrigen Schwamm drüber". In der Tat. Das wäre die billigste Lösung und jene, die verspricht, das Image der Bundeswehr und ihres Ministers zu schonen.]

 

Susanne Härpfer ist als freie Journalistin tätig, ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).