03. Juli 2003
Vortrag IFSH

 

Die Bush-Administration
Rüstungskontrolle und Nonproliferation vor neuen Herausforderungen

von Otfried Nassauer

Einleitung

Im letzten Jahr der Präsidentschaft von George Bush Senior, 1992, erschien ein bemerkenswertes Buch: "House of Cards – Why Arms Control Must fail". Der Autor war Colin S. Gray. Gray nutzte ein Zitat von Winston Churchill aus dem Jahre 1934 als Motto: "It is the greatest possible mistake to mix up disarmament with peace. When you have peace you will have disarmament." Dieses Motto dekliniert Gray in seinem Buch: Er hält Rüstungskontrolle für einen "nichttödlichen Virus, der unausrottbar die Politik befallen" habe. Rüstungskontrolle müsse fehlschlagen, weil nicht Waffen, sondern Politik über Krieg und Frieden entscheiden, weil Rüstungskontrolle keine Stabilität schaffe, ihre positiven Wirkungen wie theologische Dogmen von der politischen Klasse lediglich geglaubt würden. Rüstungskontrolle führe vor allem dann zu wirksamen Rüstungsbeschränkungen, wenn die beteiligten Staaten hinreichendes Vertrauen zueinander hätten, also Rüstungsbeschränkungen gar nicht zwingend erforderlich seien. Zwischen verfeindeten Staaten aber sei effektive Rüstungskontrolle dagegen so gut wie unmöglich. Rüstungskontrolle schade bestenfalls nicht, aber wirklich nützlich sei sie erst recht nicht. Die Titel der Buchkapitel sprechen Bände: "The Magic Kingdom of Arms Control", "Verification without Compliance", "To Bury Arms Control, Not to Praise it".

Colin S. Gray ist ein einflußreicher strategischer Denker, dessen Überlegungen die amerikanischen Neokonservativen erheblich beeinflußt haben. Gray’s skeptisch-negative Grundhaltung gegenüber Rüstungskontrolle und Abrüstung spiegelt sich in weiten Teilen der heutigen Bush-Administration. Adepten seiner Position, wie der Staatssekretär im US-Außenministerium, Henry Bolton, oder Keith Payne, bis vor kurzem Staatssekretär im Pentagon, übersetzten Gray’s Überlegungen dieser Tage in praktische Politik.

Ich möchte mich meinem heutigen Thema in fünf Schritten nähern

  • In einem ersten Schritt werde ich einige Kernlinien der Außen- und Sicherheitspolitik unter Präsident Bush skizzieren,
  • In einem zweiten die Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollpolitik kurz beschreiben
  • In einem dritten einige relevante Schwächen dieses Ansatzes aufzeigen
  • In einem vierten will ich einige rüstungskontroll- und nichtverbreitungspolitische Herausforderungen für die Bundesrepublik und Europa benennen und in einem
  • Fünften und letzten Schritt versuchen, einige erste Überlegungen zu weiterführenden Politikelementen und –ansätzen zu benennen.

 

1. Außen- und Sicherheitspolitik unter George W. Bush

Die Außen und Sicherheitspolitik der Bush-Administration wird bisher von Neokonservativen dominiert, die argumentieren, daß die USA sich ihrer Rolle als alleinige Supermacht erst noch bewußt werden und daraus die Konsequenzen ziehen müssen. Es gelte, die Weltordnung so neu zu gestalten, daß diese die Aufrechterhaltung der alleinigen amerikanischen Führung erleichtere und die Herausbildung regionaler Konkurrenten erschwere. Eine deutliche Flexibilisierung der amerikanischen machtpolitischen Handlungsmöglichkeiten – vor allem auch der militärischen - sei vonnöten. Ein verstärkter Rückgriff auf das Recht des Stärkeren, das Naturrecht, sei angemessen, weil das Verhältnis der Staaten untereinander anarchisch sei. Nicht Legalität und Recht, sondern Legitimität und Rechtfertigbarkeit rücken dabei in den Vordergrund. Flexiblere Optionen zur Ausübung von Macht werden durch eine aktive Deregulierung der internationalen Beziehungen erreicht. Diese hat verschiedene Formen:

  1. Sie drückt sich in einer Entrechtlichung der internationalen Beziehungen aus. Rechtliche Regeln, die die eigene Handlungsfreiheit einschränken, werden beseitigt (ABM-Vertrag) oder gar nicht erst eingegangen (Internationaler Strafgerichtshof). Praktiziert wird ein Multilateralismus a la carté: Nur Vereinbarungen, die – wie der Nichtverbreitungsvertrag - dem nationalen Interesse dienlich sind, bleiben erhalten.
  2. Mit der Entrechtlichung einher geht eine Politik der Renationalisierung von Entscheidungsbefugnissen und Rechtssetzungsansprüchen. Die Bush-Administration verlagert zentrale politische Entscheidungsbefugnisse von internationalen Institutionen zur nationalen Regierung. Die Entscheidung über den Irak-Krieg wurde von New York nach Washington umgezogen.
  3. Die Deregulierung zeigt sich damit auch in einer Devaluierung internationaler Organisationen, die bisher die Aufgabe hatten, multilateral kollektive Entscheidungsprozesse zu organisieren. Sie werden vor die Wahl gestellt, "freiwillig" zu Erfüllungsgehilfen nationaler Entscheidungen der USA zu werden oder nur noch als potentielle Konsultationsgremien zu dienen bzw. ins Abseits geschoben zu werden. Sowohl die NATO als auch die Vereinten Nationen waren bereits betroffen.
  4. In der Bündnispolitik wird ebenfalls Multilateralismus a la carté praktiziert: Die "Coalition of the Willing". Nicht Strukturen, die wie die NATO als Orte gemeinsamer Entscheidungsfindung konzipiert sind, dienen als vorrangiges Instrument multilateraler Absicherung, sondern ad-hoc-Koalitionen, die sich entlang der nationalen Zielsetzung ergeben bzw. als möglich erweisen. Donald Rumsfeld’s "The mission defines the coalition, not the coalition the mission".
  5. Die Bush-Administration verfolgt eine Ausweitung der als legitim erachteten Interventionsgründe. Neben die "humanitäre Intervention" treten die Bekämpfung des Terrorismus und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen an staatliche wie an nichtstaatliche Akteure. Das amerikanische Rechtsverständnis ist präzedenzfallorientiert. War Kosovo der Präzedenzfall für eine humanitäre Intervention, so ist Afghanistan jener für die Bekämpfung des Terrorismus und der Irak sollte es für die Bekämpfung der Proliferation sein. Auf Präzedenzfälle kann man sich berufen, wenn es gilt, künftige Interventionen als legitim darzustellen.
  6. Schließlich werden die Umstände, unter denen legitimerweise Krieg geführt werden darf, erweitert: Prävention und Präemption mit militärischen Mitteln wurden in den Kanon politischer Handlungsmöglichkeiten aufgenommen. Dieser Schritt findet seine Analogie in einer Politik, die sich abzeichnende geopolitische Veränderungen oder Krisen nicht abwartet und darauf reagiert, sondern unter dem Vorzeichen, Weltordnung neu zu gestalten, selbst einleitet.

Die Deregulierung der internationalen Beziehungen ist kein Selbstzweck, sondern Schritt und Phase auf dem Weg zu einer den neuen Risiken und Gefährdungen angepaßten Ordnung unter dauerhafter Führung der USA. Richard N. Haass, damals Planungsdirektor im US-Außenministerium, spricht davon, eine "Doktrin der Grenzen nationaler Souveränität" zu entwickeln, also ein Set von Werten, an das sich Regierungen halten müssen, wenn sie vor Interventionen der internationalen Staatengemeinschaft oder der USA sicher sein wollen. Regierungen müssen Werte wie Demokratie, Menschenrechte, freie Marktwirtschaft, Nichtunterstützung von Terrorismus oder Proliferation gewährleisten. Tun sie das nicht oder können sie das nicht, so darf und muß ein "Regime Change", ein Regimewechsel erzwungen werden können. Die internationalen Organisationen müssen entweder Instrumente der Implementierung dieser neuen Weltordnung werden oder aber – wenn sie sich dazu unfähig bzw. unwillig zeigen - durch neue, unter Führung Washingtons zu gründende Institutionen abgelöst werden. Ähnliches gilt für das internationale Recht. Es muß angepaßt werden oder es verliert seine Bindungskraft für die USA.

 

2. Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung unter George W. Bush

Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung unter George W. Bush sind gute Beispiele für die These, daß die gegenwärtige Administration in Washington eine Politik der Entrechtlichung der internationalen Beziehungen und des Multilateralismus a la carté betreibt. Nach zweieinhalb Jahren im Amt gibt es bereits eine Vielzahl von Beispielen dafür:

  • Der ABM-Vertrag wurde gekündigt und mit ihm entfallen auch viele Begrenzungen für eine künftige Militarisierung des Weltraums.
  • Der START-2-Vertrag zur Begrenzung der strategischen Nuklearrüstung ist durch den Moskauer SORT-Vertrag ersetzt worden, der den Vertragsstaaten – USA und Rußland – einerseits größere Freiheiten und Spielräume läßt und andererseits weniger Pflichten enthält als START-2.
  • Die Unterschrift der USA unter die römische Konvention des internationalen Strafgerichtshofs ist zurückgezogen worden.
  • Abgelehnt wurde das Protokoll für ein Verifikationsabkommen, mit dem das Verbotsabkommen für biologische Waffen wirksamer gemacht werden sollte; eigene Vorschläge für ein solches Protokoll präsentierte Washington nicht. Die Verhandlungen sind damit vorerst gescheitert.
  • Verhindert wurde, daß im Juli 2001 bei der ersten UN-Konferenz über den illegalen Handel mit Kleinwaffen ein zwar nur sehr begrenztes, trotzdem aber doch sinnvolles Aktionsprogramm zur Begrenzung des Kleinwaffenhandels verabschiedet werden konnte.
  • Zurückgezogen wurde die Zusage der Regierung Clinton, bis zum Jahr 2006 auf Antipersonenminen zu verzichten und dem Ottawa-Vertrag über ein Verbot dieser Waffen beizutreten.

Weitere Schritte sind in Überlegung: Auf Wunsch des Pentagons wird überprüft, ob die USA auch ihre Unterschrift unter den CTBT, den Teststopp-Vertrag, zurückziehen. Im Verteidigungsministerium ist man der Auffassung, der Vertrag behindere die Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Waffen. Im Energieministerium wird z. Zt. die Vorbereitungszeit für die Wiederaufnahme nuklearer Tests signifikant verringert. Die Bush-Administration hofft, im Haushaltsjahr 2004 mit Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für eine neue Generation nuklearer Waffen beginnen zu können. Auf längere Sicht ist damit zu rechnen, dass auch der Weltraumvertrag in Frage gestellt werden könnte, weil er die Weltraumrüstungspläne der US-Administration behindert. Im Verteidigungsministerium ziehen konservative Hardliner und Militärs in Zweifel, ob der INF-Vertrag, mit dem einst die nuklearen Mittelstreckenraketen in Ost und West abgebaut wurden, noch im Interesse Washingtons ist. Er verbiete nur Washington und Moskau den Bau und Besitz auch konventioneller Mittelstreckenraketen, deren Bedeutung angesichts der Integration konventioneller und nuklearer strategischer Offensivkapazitäten im Rahmen der neuen Strategischen Triade des Nuclear Posture Reviews wachsen könnte, weil sie den militärischen Optionen zusätzliche Flexibilität verleihen könnten. Manche in den Washingtoner Amtsstuben würden gar am liebsten die Wiener Konvention über internationale Verträge – wie etliche völkerrechtliche Rechtsakte von Washington zwar unterzeichnet jedoch nie ratifiziert – durch einen Widerruf der US-Unterschrift aus dem Verkehr ziehen. Diese Konvention fordert u.a. von den Signatarstaaten eines Abkommens, das noch nicht ratifiziert ist, sich so zu verhalten als sei der Vertrag bereits in Kraft. Die Bedeutung dieser Konvention zeigte sich sowohl bei SALT 2 als auch beim START 2 –Vertrag. Obwohl beide Verträge nie in Kraft getreten sind, haben sich alle Beteiligten an deren Regelungen gebunden gefühlt.

"Multilateralismus a la cartè" in der Rüstungskontrolle bedeute, so erläuterte Richard N. Haass, der damalige Direktor für Politische Planung im US-Außenministerium schon vor zwei Jahren, daß Washington sich jeden einzelnen Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungsvertrag anschauen werde, überprüfen werde, ob er den Interessen der USA (noch) entspreche und dann entscheiden werde, wie weiter zu verfahren sei. Allzuviele Verträge, die dieser kritischen Überprüfung standhielten, scheint man nicht gefunden zu haben. Denn positive Bezüge auf Rüstungskontrollverträge sind in den offiziellen Stellungnahmen Washingtons selten geworden. Auch im internationalen Kontext, z.B. in den Kommuniques der NATO-Ministertagungen oder NATO-Gipfel finden sie sich – auf Wunsch der Bush-Administration und oft gegen den Widerstand vieler anderer NATO-Staaten immer seltener.

Positiven Bezug nimmt die Bush-Administration vor allem, aber dennoch nur gelegntlich, auf rechtlich verbindliche Nichtverbreitungsregelungen wie zum Beispiel den NPT, die Chemiewaffenkonvention und das B-Waffen-Übereinkommen. Ebenso bezieht sie sich positiv auf etliche multilaterale Institutionen zur Überprüfung der Implementierung dieser Abkommen, wie die IAEO oder die OPCW. Positive Bezüge gibt es manchmal auch auf die Ausschüsse, in denen Staaten, die über bestimmte proliferationsrelevante Technologien verfügen, sich für deren Export und dessen Überwachung gemeinsame Regeln geben, so das Zangger-Committee, die Nuclear Suppliers Group, die Australische Gruppe und den MTCR. In der im Dezember 2002 veröffentlichten "Nationalen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen", heißt es: "Bestehende Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollregime spielen eine wichtige Rolle in unserer Gesamtstrategie. Die Vereinigten Staaten werden die derzeit in Kraft befindlichen Regime unterstützen, und sich dafür einsetzen, daß deren Wirksamkeit sowie die Einhaltung dieser Regime verbessert wird. In Übereinstimmung mit anderen Politikprioritäten werden wir auch neue Abkommen und Übereinkünfte befürworten, die unseren Nichtverbreitungszielen dienen." Zugleich macht das Dokument in seinen Aussagen über Exportkontrollen deutlich: "Wir müssen sicherstellen, daß die Implementierung von U.S.-Exportkontrollen unser Nichtverbreitungsbemühen ebenso wie andere Ziele nationaler Sicherheit fördert, während zugleich die Realitäten zur Kenntnis genommen werden müssen, denen sich amerikanische Firmen auf einem in wachsendem Ausmaß globalisierten Markt gegenübersehen. (...) Unser übergeordnetes Ziel ist es, unsere Ressourcen auf wirklich sensible Exporte in feindliche Staaten und auf Exporte in Länder, die sich durch Reexporte an der Proliferation beteiligen, zu konzentrieren. Zugleich werden wir unnötige Barrieren auf dem globalen Markt zu beseitigen trachten."

Ein vergleichbar positiver Bezug auf bi- oder multilaterale Rüstungskontrollabkommen zur Rüstungsbeschränkung im konventionellen Bereich oder bei der Weltraumrüstung fehlt dagegen weitgehend. Deutlich wird einerseits eine Fokussierung auf Abkommen im Bereich der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und andererseits eine auffällige Häufung der positiven Bezüge auf multilaterale Regelungen, die zwischen solchen Staaten unterscheiden, die über bestimmte Fähigkeiten verfügen dürfen, und solchen, die dies nicht dürfen.

Indirekt wird gar angedeutet, daß diese Unterscheidung auch im Blick auf die Verpflichtung zur Einhaltung der jeweiligen Vertragsverpflichtungen ihre Verlängerung findet: Zwar legt die Bush-Administration einerseits verstärkten Wert auf die globale Einhaltung der Nichtverbreitungsverpflichtungen seitens der nicht-nuklearen Vertragsmitglieder. Zugleich aber verweist sie die im gleichen Vertragswerk enthaltene Verpflichtung der nuklearen Mitglieder zu vollständiger nuklearer Abrüstung sehr viel deutlicher als die Clinton-Administration in die völlig unabsehbare Zukunft. Hatte die Regierung Clinton mit ihrer Akzeptanz der Dokumente über "Prinzipien und Ziele", während des Überprüfungsprozesses des Vertrages die Hoffnung genährt, daß Washington die Abrüstungsverpflichtung zumindest im Grundsatz als solche anerkenne, so signalisiert die Bush-Administration durch ihre Schritte zur Modernisierung nuklearer Waffen und von deren Trägersystemen, daß sie auf 50 Jahre und mehr kaum an einen solchen Schritt glaubt. Mehr noch: Mit der in der Nationalen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen offen angedeuteten Drohung, auch Staaten, die nach biologischen oder chemischen Waffen sowie deren Trägersystemen streben, notfalls auch mit Nuklearwaffen anzugreifen, widerruft Washington jene politisch bindenden Negativen Sicherheitsgarantien, die es zuletzt 1995 den nicht-nuklearen Mitgliedern des NPT gegeben hatte: Ein Nuklearwaffeneinsatz gegen solche Staaten komme nur in Frage, wenn diese Staaten sich im Bündnis mit einem Nuklearwaffenstaat zu einem Angriff entschließen sollten. Diese Sicherheitsgarantien aber spielten nicht nur im Blick auf bestehende oder geplante Nuklearwaffenfreie Zonen eine wichtige Rolle. Sie waren auch für die Zustimmung vieler nicht-nuklearer Staaten zur unkonditionierten, zeitlich unbegrenzten Verlängerung des NPT trotz deren Kritik an mangelnden Abrüstungsfortschritten seitens der Nuklearwaffenstaaten äußerst instrumentell.

Dies macht deutlich, daß die Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungspolitik der Bush-Administration im Kontext der Sicherheits- und Rüstungspolitik dieser Regierung betrachtet werden muß. Dabei ist deren veränderter Stellenwert zu beachten. War sie in der Vergangenheit zumeist eines der zentralen Instrumente zur Verhinderung von Proliferation, so wird sie nunmehr eher instrumentell betrachtet. Mit Nichtverbreitungspolitik kann Proliferation verzögert, aber nicht verhindert werden, so glauben viele in der gegenwärtigen Administration. Als Folge dieser Haltung werden Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungspolitik zunehmend zu nachgeordneten Instrumenten, die eine Politik des diplomatischen Zwangs und der Legitimierung militärischer Bekämpfungsmöglichkeiten unterstützen und erleichtern können, aber letztlich nur in Ausnahmefällen ersetzten könnte. Damit kommt konsequenterweise den Mitteln der Counterproliferation Vorrang vor denen der Nonproliferation zu – insbesondere was die Ressourcen zur Instrumentierung von Politik betrifft. Zwar kann auch in dieser Konstellation der Vorwurf an andere Akteure, gegen internationales Recht zu verstoßen, nützlich sein, weil er hilft den Rückgriff auf militärische Mittel leichter rechtfertigen zu können. Eine prinzipielle, eigenständige Wirksamkeit wird der Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungspolitik aber nicht mehr oder nur noch in seltenen Ausnahmefällen zugetraut. Diese Haltung spiegelt sich u.a. in der offenen Proklamation der Option zu präventiven und präemptiven militärischen Schlägen gegen potentielle Proliferateure, die sich sowohl im Nuclear Posture Review wie auch in der Nationalen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen findet. Das Vertrauen dieser Politik gilt der eigenen Stärke, dem Recht des Stärkeren und nicht der Stärkung des Rechts.

 

3. Wichtige Bruchlinien

Widerspruchsfrei oder frei von Brüchen ist dieser Politikansatz nicht. Dies sei an einigen wenigen Beispielen verdeutlicht.

  1. Die zeitlich parallele Eskalation der Konflikte um die Massenvernichtungswaffen Nordkoreas und des Iraks stellte Washington sehr schnell vor die Frage "Viele Kriege oder viele Standards?" In beiden Fällen geht es um Massenvernichtungswaffen. Der Irak hat vielleicht virtuelle Programme, bei Nordkorea geht es sicher um reale. Trotzdem wurde das militärische Vorgehen zunächst gegen den Irak und nicht gegen Nordkorea gerichtet. Mit anderen Worten: Es stellt sich die Folgefrage: Gibt es unterschiedliche Standards für unterschiedliche Proliferateure? Gibt es "böse Schurken", gegen die militärisch vorgegangen werden muß, aber auch "tolerable Schurken", gegen die ein militärisches Vorgehen aus welchem Grund auch immer nicht opportun erscheint? Gibt es vielleicht sogar "gute Schurken", Staaten, bei deren Proliferationshandlungen es wegzusehen gilt?
    Schon die Möglichkeit, daß unterschiedliche Standards existieren könnten, impliziert zweierlei:
    Erstens wird die Glaubwürdigkeit der behaupteten Wertebasierung der neuen Weltordnung infragegestellt. Diese Problematik verschärft sich, da auch hinsichtlich der Terrorismusbekämpfung keine widerspruchsfreie, wertebasierte Argumentations- und Handlungslinie in der Bush-Administration zu erkennen ist. Hinzu kommt: Als Kollateralschaden dieses Politikansatzes könnte eintreten, was vorgeblich verhindert werden soll – ein Mehr an Terror und ein mehr an Proliferation.
    Zweitens stellt sich die Frage, ob es zu dieser Glaubwürdigkeits-Problematik kommen kann, weil auch die einzige verblieben Supermacht, Washington, nicht über die wirtschaftlichen oder militärischen Ressourcen verfügt, die erforderlich wären, um auch nur die zwangsweise Abrüstung der Proliferationsrisiken durch Interventionen notfalls im Alleingang durchzusetzen. Wäre dem so oder würde es auch nur von potentiellen Proliferateuren so wahrgenommen, so hätte dies zwei Folgen: Zum einen einen entstünde durch den Unterschied zwischen der deklaratorischen und der faktischen Politik Washingtons ein weiteres Glaubwürdigkeitsproblem; zum anderen würde so mancher Staat, für den der Erwerb von Massenvernichtungswaffen und insbesondere von Nuklearwaffen eine Option darstellt, die Schlußfolgerung ziehen, daß er diese so schnell und heimlich wie möglich ausüben muß.
  2. Daraus ergibt sich der zweite Problembereich: Washington gibt derzeit nicht zu erkennen, daß und ob es sich der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Grenzen seiner Macht bewußt ist. Optionen zu kooperativer Multipolarität werden auch dann zugunsten unipolarer Handlungsoptionen ausgeschlagen, wenn – wie im Falle der Unterstützungsangebote durch die NATO bei der Terrorismusbekämpfung – eine ausreichende Basis gemeinsamer Interessen besteht, um multilateral vorzugehen. Diese Demonstrationen der eigenen Stärke und der Möglichkeit, auch den eigenen Partnern die Fähigkeit vorzuführen, daß es ohne sie geht, wenn das Recht des Stärkeren genutzt wird, dominiert in den Vorstellungen jener Neokonservativen, die die Außen- und Sicherheitspolitik der Bush-Administration derzeit dominieren. Damit mag zwar die Hoffnung verbunden sein, dieses Vorgehen werde letztlich Erfolg haben, wenn es nur lange genug offensiv umgesetzt werde. Es werde sich de facto auch deshalb durchsetzen, weil die Sogwirkung der eigenen Stärke und das Nachgeben jener, die – wie Tony Blair glauben - durch Mitmachen Mitentscheidungsmöglichkeiten zu sichern, mit der Zeit eine hinreichende Zahl von Unterstützern generieren werde, weil alle auf der Seite der Sieger sein wollen. Doch schon kleinere Mißerfolge, aufkommende Zweifel am Erfolg oder gar Probleme mit der Wahrheit bei der Rechtfertigung von Waffengängen, wie sie sich im Nachgang des Irakkrieges gezeigt haben, können leicht und schnell auch ein ganz anderes Ergebnis zeitigen: Es besteht eine Gefahr, daß die "einzige Supermacht" zu einer "vereinsamenden Supermacht" und schließlich zu einer "einsamen Supermacht" wird. Dieser fehlen die erforderlichen Partner und multilateralen Kooperationsmöglichkeiten gerade dann, wenn sie diese am dringendsten benötigt, dann nämlich, wenn die Gefahr der imperialen Überdehnung spürbar und virulent wird. Selbst wenn sich zunächst oben erwähnte Hoffnung auf die Sogwirkung scheinbar durchsetzen sollte, so bliebe zumindest die Gefahr bestehen, daß die Verläßlichkeit "tributzahlender Vasallen" meist gerade dann zweifelhaft wird, wenn deren Tribut, deren Beitrag in einer Krise entscheidendes Gewicht bekommt.
    Mit anderen Worten: Kann es sich Washington wirklich leisten kann, auch gegenüber potentiellen Partnern für "kooperative Multipolarität" bei der Neugestaltung von Weltordnung auf das Recht des Stärkeren und unilaterales Vorgehen zu setzen? Deren natürlichstes Interesse muß es ja sein, Multilateralismus und Multipolarität zu stärken und dies notfalls gemeinsam.

Die immanenten Schwächen der sich entwickelnden Bush-Doktrin könnten somit dazu führen, dass zwar eine Deregulierung der internationalen Beziehungen vollzogen wird, für die Rekonstruktion der internationaler Beziehungen auf einer neuen Wertebasis aber die Kräfte und Ressourcen fehlen, weil sie nicht gepoolt werden können. Dann wären ein deutliches Minus an internationaler Stabilität und ein deutliches Plus an zwischenstaatlicher Anarchie die wahrscheinlichen Folgen. Dies hätte für Washington schwerwiegende Folgen – mehr aber wohl für ein Europa, das derzeit noch kein wirklich einheitlicher Akteur ist und wahrscheinlich oft nicht schnell genug mit einheitlicher Stoßrichtung agieren könnte. Es bleibt abzuwarten, ob Washington diese Entwicklungsoption als eines der Ziele seiner Politik zu erkennen gibt bzw. als ein Mittel einsetzen wird, um dem Entstehen eines europäischen machtpolitischen Konkurrenten mit regionalen Handlungsmöglichkeiten vorzubeugen.

 

4. Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung vor neuen Herausforderungen

Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung stehen nicht allein, aber auch nicht zuletzt wegen der skeptisch-ablehnenden Haltung der Regierung Bush vor schwierigen Zeiten. Wie soll Rüstungskontrolle erfolgreich betrieben werden, wenn der Stärkste die Mitwirkung verweigert oder passiv und abseits bleibt? Wie soll Abrüstung gelingen, wenn nicht alle dazu Bereitschaft zeigen? Wie soll Nichtverbreitungspolitik erfolgreich sein, wenn ihr allenfalls eine Verzögerungswirkung zugetraut wird? Und was tun angesichts der immer größer werdenden Bedeutung nicht-staatlicher Akteure für das Gewaltgeschehen?

Auch ich habe keine fertigen Rezepte für diese Probleme in der Tasche. Anbieten kann ich nur einige erste Ideen und Versatzstücke, einige Vorschläge, die der weiteren Erforschung bzw. Entwicklung wert scheinen.

 

1. Nicht-Staatliche Akteure als Problem der Rüstungskontrolle

Eine der schwierigsten Fragestellungen hinsichtlich der Zukunft von Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Einhaltung des humanitären Kriegsvölkerrechts ergibt sich aus der wachsenden Bedeutung nicht-staatlicher Akteure (NSA) für das Kriegsgeschehen, aber auch für die Sicherheitspolitik allgemein.

Diesen Akteuren kommt gerade im Blick auf die heute dominierenden sicherheitspolitischen Restrisiken eine wachsende Bedeutung zu. Zugleich werden sie – per definitionem – von Rüstungskontrolle, Nichtverbreitungsregeln und teilweise auch vom humanitären Kriegsvölkerrecht nicht erfaßt bzw. sogar ausgeschlossen, weil es sich um zwischenstaatliches Recht handelt. Innerstaatliches Recht, daß sie wie das Strafrecht erfassen könnte, erweist sich parallel dazu oft als nicht durchsetzbar, weil die Staatsgewalt die Einhaltung des Rechts nicht mehr absichern kann. Zugleich neigt Staatenwelt dazu, NSA die Mitwirkung an der Einhaltung zwischenstaatlicher Rechtsregelungen zu versagen, weil sie die NSA weder direkt noch indirekt zu völkerrechtlichen Subjekten aufwerten will. Damit fällt aber ein zunehmend wichtiger Teil der Akteure des Kriegsgeschehens aus dem Bemühen um rechtliche Verregelung heraus und gibt damit auch staatlichen Akteuren wiederum Anlaß und Grund, sich der Verrechtlichung zu widersetzen oder aber geltendes Recht in Frage zu stellen und außer Kraft zu setzen. Schon dies macht deutlich, daß Handlungsbedarf gegeben ist, soll nicht eine Art Teufelskreis entstehen.

Aufgrund der Vielzahl der Akteure, die als Nicht-Staatliche Akteure bezeichnet werden können, bietet es sich zunächst an, eine Differenzierung durch Definition anzustreben:

Als Nicht-Staatliche Akteure (NSA) sollen hier Organisationen, Gruppen und Netzwerke von Personen verstanden werden, die zu organisierter bewaffneter Gewaltausübung fähig sind. Dabei kann es sich um militärische, paramilitärische oder aber auch um terroristische Gruppen handeln, die nach politischer und wirtschaftlicher Macht streben. (aber auch um solche, die mit organisierter Gewalt auf sich oder bestimmte Probleme aufmerksam machen wollen.) Sie gilt es, zur Akzeptanz rechtlicher Verregelung und zur Einhaltung internationalen Rechtes zu ermuntern.

Damit werden NSA von Nicht-Regierungsorganisationen (NROs) abgegrenzt, deren Vorgehen weder von organisierter Gewalt noch von der Absicht, staatliche oder wirtschaftliche Macht auszuüben geprägt ist. Sie befürworten zumeist eine weitere rechtliche Verregelung. Hier besteht deshalb – mit Blick auf die Einhaltung internationaler Rechtsnormen – kein so dringender Verregelungsbedarf, weil nationales Recht greift und nicht politisch-staatliche Macht, sondern eher Einfluß das Ziel ist.

Wie also kann das Verhalten von NSA durch zwischenstaatliches und internationales Recht beeinflußt werden? Zunächst: NSA sind teilweise – soweit ihr Kombattanten-Status greift - an Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechtes gebunden, werden aber von vielen anderen internationalen Verregelungen nicht erfaßt, weil sie weder zwischenstaatlichen Abkommen beitreten können, noch die Staatenwelt bereit ist, ihnen durch die Anerkennung freiwilliger Selbstverpflichtungen zur Einhaltung internationaler Rechtsnormen Legitimität und Anerkennung zuwachsen zu lassen.

 

1. Code of Conduct für NSA

Ein Weg, um NSA fester an internationales Recht zu binden, besteht darin, ihnen die Möglichkeit zu politisch verbindlichen Selbstverpflichtungen zu geben, mit denen sie sich selbst zur Einhaltung internationaler Rechtsnormen verpflichten. Dies kann in Anlehnung an die politisch bindenden Erklärungen von Staaten geschehen. Politische Bereiche, in denen sich dieser Weg anbietet, sind z.B.:

  • die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts
  • Verbots- oder Einsatzverbots-Konventionen für spezifische Waffentypen
  • oder die Option der freiwilligen Selbstunterwerfung unter bestimmte Formen internationaler Jurisdiktion.

Neu ist dieser Ansatz nicht. Neu ist lediglich der Gedanke, mittels eines Codes einen Katalog von Regeln aufzustellen, deren Einhaltung für alle jene NSA Pflicht sein sollte, die öffentlich den Anspruch erheben wollen, eine Alternativen zu bestehenden staatlichen Machtstrukturen zu sein oder werden zu wollen und die somit ein Interesse haben müssen, sich z.B. von terroristischen Gruppen abzugrenzen. Eine sinnvolle Ergänzung und ein wirksamer Anreiz könnte in der parallelen Entwicklung eines Modells "Sicherheits- und Vertrauensbildender Maßnahmen" für NSA bestehen.

Ein Code of Conduct könnte zudem ein nützlicher Anreiz für NSAs sein, sich an rechtliche Regeln zu halten. Gerade jene nicht-staatlichen Akteure, die sich als Alternative zu einer existierenden Regierung betrachten und/oder bereits Territorien kontrollieren, müssen ein Interesse daran haben, unter Beweis zu stellen, daß sie zur Herstellung von Rechtsgültigkeit und/oder Rechtssicherheit in der Lage sind. Zudem haben sie ein Interesse, sich von terroristischen Gruppen abzugrenzen.

Der staatlicherseits gerne erhobene Einwand, daß man solche Selbstverpflichtungen nicht anerkennen könne, weil damit indirekt die Gewaltanwendung des nicht-staatlichen Akteurs legitimiert und dieser aufwertet werde, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als kaum haltbar. Wäre er tragfähig, so dürfte es keinerlei staatliche Aufrufe oder Initiativen an die Bevölkerung in autokratisch regierten Ländern mehr geben, sich notfalls gewaltsam gegen diese Regierungen zu erheben. Es bliebe nur noch die militärische Intervention von außen zur Erzwingung eines Regierungswechsels. Hinzu kommt: Würde ein solcher Code of Conduct von NROs angestoßen und verwirklicht, so wäre damit keine staatliche Legitimierung verbunden.

 

2. Konvention gegen das Out-Sourcing

Zur Reduktion der Zahl von Nicht-Staatlichen Akteuren, die die Fähigkeit haben, organisiert Gewalt anzuwenden, bietet sich auch eine Internationale Konvention über ein Verbot des Outsourcings völkerrechtswidriger Tätigkeiten an. Gäbe es eine solche Konvention, und würde sie universal beachtet, so würde sich die Zahl solcher nicht-staatlicher Akteure deutlich verringern. Zudem gäbe es neben der staatlichen Verantwortung für Aktivitäten von Personen und Gruppierungen, die auf dem Territorium eines Staates agieren ein internationales Instrument zu ihrer Kontrolle oder auch zu einer möglichen Sanktionierung ihres Handelns. Schließlich würde ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Einhaltung nationaler, vor allem aber internationaler Rechtsnormen geschaffen. Von geringerer Bindungskraft, aber immer noch von einer gewissen Wirkung könnte auch hier der Einstieg über einen "Code of Conduct" sein, der als Vorstufe zu einer Konvention zu verstehen wäre.

 

3. Größere Effizienz durch Politik aus einem Guß

Ein weiterer Ansatzpunkt kann aus der Verbindung bisher weitgehend getrennter politischer Aktionsfelder entstehen. Werden Maßnahmen aus den Bereichen der Rüstungskontrolle, der Außenwirtschafts- und Exportpolitik, der internationalen Finanzkontrolle, des internationalen Informationsaustausches und ggf. weiteren Bereichen klug auf bestimmte, als bedeutsam gewertete, politische Ziele wie z.B. die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen ausgerichtet, so kann das Ergebnis schnell mehr als die nackte Summe der Teilmaßnahmen sein. Einen ersten Versuch dieser Art könnte man in den jüngsten EU-Beschlüssen zu Massenvernichtungswaffen sehen.

 

4. Präventive Rüstungskontrolle und Technologiefolgenabschätzung

Präventive Rüstungskontrolle und Technologiefolgenabschätzung können einen wichtigen Beitrag zur Rüstungskontrolle darstellen – auch gegenüber nicht-staatlichen Akteuren.

Das politische Potential einer militärischen Technologiefolgeabschätzung liegt insbesondere in der rechtzeitigen Kenntnis des Risiko- und Proliferationspotentials neuer Technologien, die derzeit noch nicht breit zum Einsatz kommen. Nur eine solche Kenntnis ermöglicht es, frühzeitig Schritte zur Eindämmung des Proliferationsrisikos oder aber eine präventive Beschränkung der Nutzung der Technologie vorzunehmen. Die Nanotechnologie birgt beispielsweise ein recht hohes Risiko, terroristisch nutzbare Anwendungsmöglichkeiten zu finden – z.B. im Blick auf biologische oder chemische Waffen. An ihrer Nutzung zur Überwindung der Blut-Hirnschranke wird z.B. bereits gearbeitet. Zugleich geht es um Partikel, die um Größenordnungen kleiner sind, als jene Klein- und Kleinstteilchen, wegen deren Lungengängigkeit heutige Gesundheits- und Arbeitsschutznormen erst geschaffen wurden. Nicht einmal solche Normen aber gibt es bisher für die Nanotechnologie. Eine Risikoabschätzung wäre also auch aus Gründen weit jenseits von Rüstungskontrolle und Proliferationsverhinderung zwingend geboten.

 

5. Ottawa-Artige Prozesse

Die Zukunft von Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung könnte auch durch vergleichbare Prozesse wie den Ottawa-Prozess neu belebt werden. Diese Option steht nicht nur staatlichem Handeln, sondern auch Nichtregierungsorganisationen offen. Der Ottawa-Prozeß führte zu einer von der überwiegenden Zahl aller Staaten respektierten Konvention über das Verbot von Anti-Personenminen und wirkt in vielfacher Weise weiterhin innovativ auf neue rüstungskontrollpolitischer Initiativen. Seine Auswirkungen initiierten auch so manche neue Diskussion über das humanitäre Kriegvölkerrecht. Es gilt also, geeignete Themen für vergleichbare Prozesse zu identifizieren und anzugehen.

Ottawa-artige Prozesse setzen voraus, daß sich zu einem Thema eine ausreichend große rüstungskontrollpolitische "Koalition der Willigen" oder "Koalition der Interessierten" findet, die gemeinsam ein Verregelungsinteresse signalisieren und beginnen, dafür Vorschläge zu erarbeiten. Der Prozeß bleibt dafür für die Mitarbeit weiterer Staaten und für die Kommentierung durch NROs und ggf. sogar NSA offen.

Schon die Existenz solcher Prozesse könnte positive Einflüsse auch auf jene Staaten haben, die ihnen skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen. Am Beispiel der USA: Auch wenn die gegenwärtige Administration beispielweise einer Übereinkunft zu Weltraumwaffen sicher skeptisch gegenüberstehen würde, so muß dies nicht für alle US-Administrationen der Zukunft gelten. Schon deshalb müßte auch die gegenwärtige Administration entscheiden, ob sie einen solchen Verhandlungsprozeß wirklich boykottieren will. Sie könnte auch zu dem Schluß kommen, daß sie nur durch Partizipation verhindern kann, daß eine künftige Administration nur noch Ja oder Nein zu einem Abkommen sagen kann, auf dessen Entstehen Washington aus freien Stücken keinen Einfluß nahm. Zudem könnten einflußreiche innerstaatliche Kräfte und Lobbies – bei den Weltraumwaffen beispielsweise Telekommunikations- und Satellitenindustrie – eine andere Interessenslage haben als die nationale Regierung.

 

6. Agenda-Setting

Wer unter den gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen nicht auf Fortschritte bei Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung verzichten will, der muß selbst die Initiative ergreifen, da diese kaum aus Washington kommen wird. Gleiches gilt für all die Akteure, die den Multilateralismus und multilaterale Institutionen stärken wollen.

Sicherheitspolitik ist eine Gestaltungsaufgabe. Die Europäische Union wird – man mag das gut finden oder nicht – ein globaler Akteur, der Gestaltungsmacht ausübt. Ihre Stärken und ihre am besten ausgeprägten Gestaltungsinstrumente liegen im Bereich der nicht-militärischen Wirkinstrumentarien.

Für Europa kann – will es nicht Standbein und Spielbein verwechseln – militärische Prävention und Präemption keine Alternative sein. Nicht-militärische Präemption und Prävention können dagegen Stärken des außen- und sicherheitspolitischen Handelns der Union sein, gerade, wenn es um die Themen Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Rüstungs- bzw. Technologietransfer geht. Wer aber den nicht-militärischen Instrumentarien Wirkungschancen geben will, braucht Zeit. Weder darf er warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen und es damit zu spät ist, noch bis andere handlungsfähige Akteure zu der Auffassung gelangt sind, es gebe keine Alternative mehr zu einem militärischen Vorgehen.

Frühzeitiges Handeln setzt frühzeitige Erkenntnis voraus. Es muß also im Interesse der Europäischen Union liegen, sich nicht nur frühzeitig mit potentiellen Risiken und Entwicklungen zu befassen, aus denen künftig sicherheitspolische Restrisiken erwachsen könnten, sondern auch, diese auf internationaler Ebene so frühzeitig zum Thema zu machen, daß die Handlungsnotwendigkeit anerkannt und geeignete nicht-militärische Maßnahmen ergriffen werden können. Europa muß die Bereitschaft entwickeln, im Blick auf Risikoanalyse und Strategien, wie diesen Risiken begegnet werden kann, selbst die Tagesordnung zu bestimmen.

Schlägt Europa Strategien zum Umgang mit erkannten Risiken vor, so gilt es, einem hohen Anspruch zu genügen. Angesichts der Skepsis, die die Regierung Bush dem rüstungskontroll- und vielfach auch dem nichtverbreitungspolitischen Instrumentarium entgegenbringt, wird es nicht leicht sein, Konzepte zu präsentieren, die hinsichtlich ihrer Effizienz und Wirksamkeit eine ausreichend hohe Glaubwürdigkeit aufweisen, sodaß Washington sich auf ihre Umsetzung einläßt.

Doch auch hier gilt: Nicht immer sind die Zustimmung und Mitwirkung der USA Voraussetzung dafür, daß ein Konzept realisiert werden kann. Wie bereits unter dem Stichwort Ottawa diskutiert, so gilt auch in diesem Kontext: Schließt sich eine ausreichend große Zahl relevanter Akteure zu einem multilateralen Vorgehen zusammen, so kann auch dies eine hinreichende Wirksamkeit bzw. einen ausreichenden Verlangsamungseffekt haben. Da Washington das Ziel des Vorgehens – Proliferation zu verhindern - im Grundsatz teilt, würde es die multilateralen Initiativen wohl eher abwartend und beobachtend begleiten, kaum aber offen sabotieren. Und: Auch hier gilt, daß die gegenwärtige US-Administration und deren Politik, nicht auf ewige Zeiten Gestaltungsmacht ausüben.

 

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).