Vereinte Nationen und NATO von Otfried Nassauer This note is also available as a PDF-File
Junger Wein in alten Schläuchen? "Der Gedanke, daß sich die Vereinten Nationen (UN) und die Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) gegenseitig ausschließen, daß einer dieser Organisationen eine Vorrangstellung gebührt, welche die andere zu praktischer Bedeutungslosigkeit verurteilt, wird immer wieder laut. Die Erkenntnis, daß die UN den Weltfrieden (...) nicht gewährleisten können, führt oft zu dem Schluß, die UN seien im Mechanismus der Friedenssicherung überflüssig." Diese Diskursbeschreibung entstammt nicht - wie man vermuten möchte - der aktuellen Diskussion des Jahres 1999. Mit diesen Worten begann Karl Heinz Kunzmann, Völkerrechtsreferent der Schule der Bundeswehr für Innere Führung, seinen Beitrag "Vereinte Nationen oder Nordatlantikpakt-Organisation" in der Zeitschrift Vereinte Nationen im Jahre 1962 (VN 4/1962 S. 103ff.). Als Kunzmann sich dieser Frage annahm, war die kollektive Gewährleistung regionaler Sicherheit des Bündnisgebietes der NATO Gegenstand der Debatte. Heute stellt sie sich weit über die Bündnisgrenzen der Allianz hinaus, wird mit Blick auf die Sicherheit ganz Europas, der an Europa angrenzenden Regionen oder gar von manchen mit weltweiter Perspektive aufgeworfen. 1999 Eine Zäsur Das Jahr 1999 stellt eine Zäsur dar. Erstmals hat die NATO, eine zur kollektiven Verteidigung gegründete Militärorganisation, einen Krieg geführt. Dies geschah nicht in Ausübung des Rechtes auf Selbstverteidigung. Es geschah außerhalb ihrer vertraglich festgelegten Aufgabe kollektiver Selbstverteidigung und außerhalb des im NATO-Vertrag beschriebenen Bündnisgebietes. Die Allianz hatte zudem auf die Legitimation ihrer Luftangriffe auf die Bundesrepublik Jugoslawien durch ein Mandat der Vereinten Nationen (VN) verzichtet. Sie faßte den Beschluß zu diesen Angriffen eigenständig, was ihr international Widerspruch und den Vorwurf einer unzulässigen "Selbstmandatierung" eintrug. Die NATO ihrerseits erhob den Anspruch, mit ihrer Militäroperation im Interesse, wenn nicht im Auftrag der internationalen Gemeinschaft bzw. der Völkergemeinschaft zu handeln. Dieser politisch und juristisch höchst umstrittene Vorgang hat grundsätzliche Bedeutung gewonnen. Anläßlich des NATO Gipfeltreffens in Washington hat die Allianz am 23./24. 4. 1999 ein neues "Strategisches Konzept" verabschiedet. Dieses schließt auch für die Zukunft die Möglichkeit nicht aus, daß die NATO militärische Krisenreaktionseinsätze gegebenenfalls auch dann vornimmt, wenn weder ein Fall der kollektiven Selbstverteidigung noch ein Mandat der internationalen Gemeinschaft in Form eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen oder einer Regionalorganisation wie der OSZE vorliegt. Neue NATO-Strategie Die neue NATO Strategie erweitert die Kernaufgaben der NATO, indem sie der Allianz bei der "Krisenbewältigung" eine größere Rolle zuweist. Das Bündnis "steht bereit, von Fall zu Fall und im Konsens, im Einklang mit Art 7 des Washingtoner Vertrages zu wirksamer Konfliktverhütung beizutragen und sich bei der Krisenbewältigung aktiv einzusetzen, einschließlich durch Krisenreaktionseinsätze". Über solche Einsätze wird also jeweils im Einzelfall und ad hoc durch Konsens entschieden. Den Bündnismitgliedern steht frei, sich - auf Basis nationaler Entscheidungen und nationaler Rechtsgrundlagen - an solchen Einsätzen zu beteiligen oder nicht. Das Strategische Konzept erkennt an, daß UNO, OSZE, EU und WEU "ausgeprägte Beiträge zur euro-atlantischen Sicherheit und Stabilität" leisten und postuliert, daß "sich gegenseitig verstärkende Organisationen (..) zu einem zentralen Merkmal des Sicherheitsumfeldes geworden" sind. "Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen trägt die primäre (primary) Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und leistet in dieser Funktion einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum". Die "OSZE als regionale Abmachung (...) spielt eine wesentliche Rolle bei der Förderung von Frieden und Stabilität, der Erhöhung der kooperativen Sicherheit und der Förderung von Demokratie und Menschenrechten in Europa". Die "Europäische Union hat wichtige Beschlüsse gefaßt und ihren Bemühungen um die Stärkung ihrer sicherheits- und verteidigungspolitischen Dimension einen weiteren Impuls verliehen". Die NATO wird - so das neue Strategische Konzept - "in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen darum bemüht sein, Konflikte zu verhüten oder, sollte eine Krise auftreten, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu deren Bewältigung beizutragen". Es folgen die entscheidenden Sätze: Die Allianz "erinnert an ihr 1994 in Brüssel gemachtes Angebot, von Fall zu Fall in Übereinstimmung mit ihren eigenen Verfahren friedenswahrende und andere Operationen unter der Autorität des VN-Sicherheitsrates oder der Verantwortung der OSZE zu unterstützen. In diesem Zusammenhang erinnert das Bündnis an seine späteren Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsätze auf dem Balkan." Zu letzteren gehört interessanterweise kein NATO-Einsatz, der politisch und militärisch vollständig unter der Leitung der Vereinten Nationen gestanden hätte. Wohl aber gehört zu den Krisenreaktionseinsätzen auf dem Balkan seit dem 24.März 1999 ein weder durch den UN-Sicherheitsrat noch durch die OSZE mandatierter Kampfeinsatz, eine militärische Operation, die außerhalb "der Autorität des UN-Sicherheitsrates" stattfand. Damit wird die Option auf durch die Vereinten Nationen nicht legitimierte militärische Einsätze der Allianz im Grundsatz offengehalten. Dies entspricht den Vorstellungen der USA, die als Führungsmacht innerhalb der NATO politisch seit Jahren das Ziel verfolgt haben, die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Bündnisses im Blick auf militärische Krisenreaktionsmaßnahmen und Kriseneinsätze nicht durch eine zwangsweise Anbindung an Beschlüsse der Vereinten Nationen oder anderer internationaler Gremien einzuschränken. Aus Sicht der USA garantiert dies, daß die NATO die wesentliche, handlungsfähige sicherheitspolitische Organisation im euro-atlantischen Raum bleibt und über die Führungsrolle der USA auch deren Einfluß in diesem bedeutsamen geographischen Raum hinlänglich gewahrt wird. Die Befürworter einer verpflichtenden Ankopplung aller NATO-Einsätze jenseits der kollektiven Verteidigung und des Rechtes auf Selbstverteidigung an ein UN-Mandat - namentlich die Bundesrepublik und Frankreich - mußten eingestehen, daß sie ihre Vorstellungen nicht durchsetzen konnten. In den gewundenen Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder anläßlich des NATO-Gipfels in Washington: "Wir waren uns einig, daß es auch in Zukunft nur dann Interventionen geben kann, wenn im Prinzip ein Sicherheitsratsbeschluß vorliegt. Eng begrenzte Ausnahmen können zugelassen werden, dürfen aber nicht die Regel werden und können überhaupt nur in Frage kommen, wenn sich zeigt, und zwar nachweisbar, daß der Sicherheitsrat nicht handlungsfähig ist." Die Beschlußlage des Bündnisses und ihre unterschiedliche Interpretation durch die Bündnismitglieder lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß über die Notwendigkeit eines UN-Mandates für Krisenreaktionseinsätze der NATO künftig jeweils im Einzelfall und ad hoc durch die Bündnismitglieder entschieden wird. Eine eindeutige geographische Beschränkung für künftige Krisenreaktionseinsätze der NATO enthält das neue Strategische Konzept nicht. Es macht jedoch deutlich, daß die Allianz sich vorrangig für Sicherheit und Stabilität im "euro-atlantischen Raum" zuständig sieht. Dieser Begriff wird nicht weiter definiert, reicht aber weit über das im NATO-Vertrag definierte Bündnisgebiet hinaus und meint im Sprachgebrauch der Allianz zumeist das Staatsgebiet jener Staaten, die sich der "Partnerschaft für den Frieden" der NATO angeschlossen haben bzw. im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat mitarbeiten. Diese Interpretation dürfte im Blick auf künftig mögliche Krisenreaktionseinsätze aber nur beschränkt angewandt werden. Dies wird deutlich, wenn die geographischen Konsequenzen beleuchtet werden. Militärische Krisenreaktionseinsätze der NATO auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation - sie ist Teil des euro-atlantischen Raumes - sind nur schwer vorstellbar. Dagegen sind solche Einsätze im nordafrikanischen Mittelmeerraum durchaus denkbar. Dieser Raum wird allerdings durch den Begriff des euro-atlantischen Raumes normalerweise nicht abgedeckt. Der potentielle Einsatzraum für Krisenreaktionseinsätze wird durch das Strategische Konzept der Allianz somit nicht hinreichend klar definiert. Ad-hoc-Entscheidungen der Bündnismitglieder am konkreten Einzelfall werden somit an die Stelle einer klaren Definition treten. Das Vorgehen der NATO im Fall Kosovo und seine potentielle Wiederholung bei künftigen Krisen wirft vielfältige politische und völkerrechtliche Fragen auf Sie haben Bedeutung für die Zukunft des internationalen Systems im Allgemeinen und das Verhältnis zwischen der NATO und den Vereinten Nationen im Besonderen. Vor allem deshalb, weil jene 19 Staaten, die in der NATO zusammengeschlossen sind, nicht nur drei der fünf Veto-Mächte im Sicherheitsrat stellen sondern auch für knapp zwei Drittel des Budgets der Vereinten Nationen aufkommen. Diese Forschungsnotiz konzentriert sich auf die politische und politisch-militärische Seite dieser Problematik. Sie untersucht die Vorgeschichte einiger wesentlicher Aspekte und fragt nach einigen der möglichen politischen Konsequenzen. Die Vorgeschichte So sehr das Vorgehen der NATO im Kosovo-Konflikt eine neue Entwicklung und eine neue Qualität darzustellen scheint - die Debatte des Jahres 1999 ist nicht neu. Sie fußt zu wesentlichen Teilen auf politischen Fragestellungen und Entwicklungen der Jahre 1992-1994. Der Zerfall der Sowjetunion, das Verbleiben nur noch einer weltweit militärisch handlungsfähigen Macht, die Auswertung des Zweiten Golfkrieges durch die USA, das Scheitern der militärischen Missionen im Somalia-Konflikt, die sich verschärfenden kriegerischen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien sowie vor allem der Wechsel von Präsident Bush zu Präsident Clinton in den USA stellen wesentliche Elemente des Hintergrundes dar. Die Entwicklung der US-Politik im Blick auf Friedensmissionen der VN von Bush zu Clinton bedarf zunächst der genaueren Betrachtung. Das Trauma von Mogadishu Die Regierung Clinton trat ihr Amt als erste von der demokratischen Partei gestellte Administration nach 12 Jahren republikanischer Herrschaft mit einem klar innenpolitisch akzentuierten Programm an. Das außenpolitische Profil der neuen Regierung war wenig geschärft. Doch genau hier hinterließ die scheidende Präsident Bush der neuen Regierung nicht nur das größte, sondern auch ein in der amerikanischen Öffentlichkeit vielbeachtetes Problem. Noch nach ihrer Wahlniederlage beschloß die Regierung Bush einen umfangreichen, aber nach Zeit und Auftrag eng begrenzten Einsatz von US-Kampftruppen im bürgerkriegsgeschüttelten Somalia, der später von einer internationalen Friedensmission der Vereinten Nationen abgelöst werden sollte. Der Sicherheitsrat erteilte das Mandat; die konkrete Durchführung der Operation oblag den USA. Entgegen der Vorstellungen des UN-Generalsekretärs weigerte sich das Pentagon aber noch während des Interregnums, die kriegführenden somalischen Clans zu entwaffnen und deren schwere Waffen vor der Übergabe der Operation an die Vereinten Nationen zu beschlagnahmen. Der Übergang zu einer UN-geführten, friedenserzwingenden Operation (UNO-SOM II) wenige Monate später, im Mai 1993, stand damit in doppelter Hinsicht vor einem schwerwiegenden Problem: Die kriegführenden Parteien in Somalia verfügten weiter über volle militärische Handlungsfähigkeit. Zugleich aber sanken die Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft, sich effektiv militärisch gegen sie durchzusetzen. Dies war zum einen der Tatsache geschuldet, daß der Aufwuchs der UN-Truppen nicht mit dem Tempo des Abzugs der US-Verbände Schritt halten konnte. Zum anderen waren die USA nicht bereit, ihre verbleibenden Kampftruppen dem UN-Oberbefehl zu unterstellen. Sie blieben unter nationalem US-Befehl. Eine Grundbedingung erfolgreichen militärischen Handelns - die Einheitlichkeit von Befehlsgewalt und Kontrolle, Command and Control - war nicht mehr gegeben. Im Oktober 1993 trug diese Konstellation zu einem schwerwiegenden Zwischenfall bei. Ohne Wissen der Vereinten Nationen führten US-Spezialeinheiten, die nicht dem UN-Kommando unterstanden, einen Einsatz im Süden Mogadischus durch, der in dramatischer Weise mißlang. Unvorbereitete UN-Truppen aus Malaysia und Pakistan mußten zu Hilfe eilen. Mehr als 1.000 Somalis, 18 US-Soldaten und ein malaysischer Blauhelmsoldat starben. Es entstanden jene Fernsehbilder, die zeigen, wie Anhänger des somalischen Generals Aidid, denen der US-Einsatz gegolten hatte, den Körper eines toten US-Soldaten im Triumph durch die staubigen Straßen Mogadischus schleifen. Am Ende des fehlgeschlagenen US-Einsatzes stand die Entscheidung Washingtons, sich aus der UN-Operation in Somalia rasch und vollständig zurückzuziehen und - wissend, daß viele andere Staaten das Verbleiben ihrer Soldaten von der weiteren Beteiligung der USA an dieser Operation abhängig machten - damit den Abbruch der UN-Mission zu erzwingen. Am Ende dieses Zwischenfalls stand aber auch die Entscheidung der Regierung Clinton, diesen Fehlschlag einer unilateralen militärischen Aktion der USA den Vereinten Nationen mit großem Medienaufwand anzulasten. Die UNO sei dafür verantwortlich, daß eine einheitliche Command and Control-Struktur während der Somalia-Operation nicht vorhanden war. Diese Entscheidungen der Führung in Washington können als erste, in der breiten Öffentlichkeit sichtbare, Signale einer signifikanten Neubestimmung des Verhältnisses der USA zu den Vereinten Nationen und zu deren Friedensmissionen gewertet werden. Sie ist bereits im Sommer 1993 ruchbar geworden und sollte im Mai 1994 mit der Verabschiedung einer Präsidentendirektive (Presidential Decision Directive) zu multilateralen Friedensmissionen abgeschlossen werden. Mit dieser Neuorientierung reagierten die USA auch auf jene Anregungen für eine Stärkung und Reform der Vereinten Nationen, die der agile UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali mit seiner 'Agenda für den Frieden' bereits im März 1992 in die Debatte eingebracht hatte. Boutros-Ghali hatte unter anderem vorgeschlagen, die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, militärische Einsätze zur Friedenserzwingung auch gegen den Willen einer oder mehrerer Konfliktparteien nach Kapitel VII der UN-Charta durchzuführen. Er hatte dies mit dem wachsenden Bedarf für ein internationales Eingreifen in für die bisherigen Friedensmissionen der UNO untypischen Situationen begründet und u.a. auf die Notwendigkeit des internationalen Eingreifens in Konflikte verwiesen, die innerhalb eines Staates - z.B. mit sich auflösender staatlicher Ordnung - und nicht zwischen Staaten ausgetragen werden. Boutros-Ghali hatte angeregt, die militärische Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen durch den Aufbau eines Bereitschaftspools nationaler Streitkräfte zu stärken, die dem UN-Generalsekretär auf Abruf zur Verfügung stehen sollten. Sie könnten damit als Ersatz oder Vorstufe zu jenen Streitkräften der Vereinten Nationen fungieren, die in der Charta zwar ins Auge gefaßt worden waren, auf deren Aufstellung man sich aber nie hatte einigen können. Die PDD 25 Das Ergebnis der Neubestimmung der US-Politik bedeutete eine Schwächung und nicht eine Stärkung der Rolle der Vereinten Nationen wie Boutros-Ghali es gewünscht hatte. Als die Clinton-Administration im Mai 1994 die Präsidenten-Direktive 25 (PDD 25) öffentlich vorstellte, war deren erkennbares Ziel die Limitierung und zeitliche wie umfangmäßige Begrenzung UN-geführter Friedensmissionen - vor allem solcher Einsätze, die ein Mandat zu Kampfeinsätzen nach Kapitel VII beinhalten würden. Zugleich wurde eine größere Flexibilität zu nationalen amerikanischen oder zu seitens der USA geführten militärischen Interventionen angestrebt. Die PDD 25 fordert, daß alle UN-Friedensoperationen soweit irgend möglich durch eine klar abgegrenzte Dauer und damit verbundene Interims- und Endziele, durch eine integrierte politisch-militärische Strategie, die gut mit humanitären Hilfsmaßnahmen koordiniert ist, durch einen klar begrenzten Streitkräfteumfang und ein feststehendes Budget gekennzeichnet sind. Die Zustimmung der USA zu einem solchen Mandat wird u.a. davon abhängig gemacht, daß eine "Involvierung der Vereinten Nationen die Interessen der USA befördert und ein Interesse der internationalen Gemeinschaft besteht, sich auf multilateraler Basis mit dem Problem auseinanderzusetzen". Auch Entscheidungen über die Verlängerung bestehender Friedensmissionen sollten künftig unter Berücksichtigung dieser Bedingungen entschieden werden. Eine Beteiligung der USA an friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen wird weitgehend konditioniert. Sie setzt voraus, daß
Das Recht der USA ihre "Beteiligung zu jedem Zeitpunkt zu beenden und jedwede notwendig erscheinende Handlung zu unternehmen, um US-Streitkräfte zu schützen, wenn sie gefährdet sind" wird explizit vorbehalten. Zugleich kündigt das Dokument an, daß die USA ihren Anteil an der Finanzierung von UN-Missionen von damals 31,7% bis zum 1.1.1996, möglicherweise aber schon zum 30.9.1995 unilateral auf 25 % absenken würden. Erheblichen Einfluß auf diese Entwicklung hatte eine innenpolitisch motivierte Grundposition der Vereinigten Staaten. Als einziger Mitgliedstaat der Vereinten Nationen sind die USA grundsätzlich nicht bereit, Truppen mit Kampfauftrag einem UN-Kommandeur zu unterstellen, der nicht US-Bürger ist. Dies begrenzt die Möglichkeit der USA, sich an friedenserzwingenden Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta mit Kampftruppen zu beteiligen, auf jene Fälle, in denen die UN-Operation einen US-Oberbefehlshaber hat. Truppen für traditionelle friedenserhaltende Maßnahmen nach Kapitel VI der UN-Charta können in bestimmten Fällen auch einem UN-Kommandeur aus einem anderen Staat unterstellt werden. "Der Präsident hält den Oberbefehl über die US-Streitkräfte und wird diesen niemals abgeben. Von Fall zu Fall wird der Präsident im Blick auf spezifische, vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisierte Operationen die Unterstellung geeigneter US-Kräfte unter die operative Kontrolle eines kompetenten UN-Befehlshabers in Betracht ziehen. Je größer die militärische Rolle der Vereinigten Staaten aber ist, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit sein, daß die Vereinigten Staaten zustimmen, daß ein UN-Befehlshaber die operative Kontrolle über US-Kräfte erhält. Jede umfangreichere Beteiligung von US-Kräften an größeren friedenserzwingenden Missionen, bei denen Kampfhandlungen wahrscheinlich sind, soll grundsätzlich unter US-Oberbefehl, der operativen Kontrolle einer kompetenten Regionalorganisation wie der NATO oder unter Führung durch eine Ad-Hoc-Koalition stehen". Die besondere Erwähnung der NATO resultiert daraus, daß dieses regionale Bündnis für seinen geographischen Verantwortungsbereich den USA einen taktisch geschickten Ausweg aus dem Dilemma der Oberbefehlshaberfrage bei multilateralen Operationen offeriert. Einsätze, die durch die Allianz geführt werden, stehen automatisch unter US-Oberbefehl, da der Posten des NATO-Oberbefehlshabers traditionell mit einem US-Amerikaner besetzt wird, der zudem in den nationalen US-amerikanischen Befehlsstrang in Doppelfunktion eingebunden bleibt. Darüber hinaus offeriert die Durchführung friedensunterstützender militärischer Einsätze mittels der NATO aus Sicht der Vereinigten Staaten weitere Vorteile:
Die Auswirkungen der neuen US-Politik für die VN wurden sehr bald deutlich. Erstes Opfer der neuen Politik wurde nur sechs Tage nach ihrer Verabschiedung der PDD 25 der Versuch Boutros-Ghalis, den beginnenden Völkermord in Ruanda durch eine hinlänglich starke und mit einem Kampfauftrag ausgestattete UN-Mission zu stoppen. Boutros-Ghalis Versuch scheiterte am Widerspruch der USA. Die USA, die NATO und die Friedensmissionen der Vereinten Nationen In Europa fiel derweil die verstärkte Diskussion über die Zukunft von Friedensmissionen zum einen mit einer tiefen Sinn- und Legitimationkrise der von den Blockstrukturen des Kalten Krieges geprägten Organisationen europäischer Sicherheit zusammen. Denn diese standen sämtlich vor der Notwendigkeit einer Neubestimmung ihrer Funktion und Aufgaben. Dies galt vor allem für die beiden militärischen Bündnisse, NATO und WEU. Hinzu kam erheblicher äußerer Handlungsdruck. Mit den Sezessions- und Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien gab es innerhalb Europas einen Herd ständig schwelender und eskalierender Konflikte, dem sich alle sicherheitspolitischen Organsitionen zunächst nicht gewachsen zeigten. WEU und NATO Bald erkannten die NATO und die WEU, daß die aktive Beteiligung an Friedensmissionen der angeschlagenen eigenen öffentlichen Reputation dienlich sein könnte. Es entspann sich ein Wettlauf. Während zunächst die NATO am 4. Juni 1992 erstmals ihre Bereitschaft erklärte, traditionelle "friedenserhaltende Missionen in Verantwortung der KSZE - von Fall zu Fall und in Übereinstimmung mit unseren eigenen Verfahrensweisen - zu unterstützen", folgte die WEU anläßlich ihrer Petersberger Außenministertagung Mitte Juni 1992 mit einem deutlich weitergehenden Angebot. Die WEU erklärte ihre Bereitschaft, auf Basis eines Mandates von KSZE oder Sicherheitsrat der Vereinten Nationen militärisch tätig zu werden und Streitkräfte für "humanitäre und Rettungszwecke, Aufgaben der Friedenserhaltung und Aufgaben von Kampftruppen bei Krisenmanagementeinsätzen, einschließlich friedensschaffender Einsätze (peacemaking)" bereitzustellen. Zugleich wurde der Beschluß gefaßt, eine Planungszelle für solche Einsätze im WEU-Hauptquartier einzurichten. Kurz zuvor, im Mai 1992, hatten Frankreich und die Bundesrepublik den Beginn des Aufbaus eines gemeinsamen militärischen Großverbandes, des Eurokorps, bekanntgegeben, der für die Durchführung solcher Einsätze gut geeignet schien. Hinter diesem Angebot stand die Überlegung Frankreichs, daß Krisenmanagementeinsätze, vor allem Kampfeinsätze zur Friedenserzwingung, künftig das politisch und relevanteste und wahrscheinlichste Segment militärischer Operationen darstellen würden. Die WEU gewann für das Krisenmanagement mit diesen Beschlüssen also politisch legitimierte Handlungsmöglichkeiten, die - beispielsweise - der NATO noch nicht gegeben waren. Sie konnte nicht nur in Unterstützung der KSZE, sondern auch der Vereinten Nationen tätig werden. Zudem war sie nun befugt, ein erheblich breiteres Spektrum militärischer Einsätze wahrzunehmen als die NATO. Hatte die NATO ihr Angebot an die KSZE auf traditionelle friedenserhaltende Maßnahmen beschränkt, so hatte die WEU grünes Licht auch für Kampfeinsätze zur Friedensschaffung und erzwingung nach Kapitel VII der UN-Charta gegeben, also das Gesamtspektrum militärischer Operationen auf die Boutros-Ghalis "Agenda für den Frieden" abhob, durch ihr Kooperationsangebot abgedeckt. Dies veranlaßte die USA zu der Befürchtung, die WEU könne auf Kosten der NATO an politischem Gewicht gewinnen. Im Dezember 1992 erklärte sich deshalb auch die NATO bereit, Friedensmissionen "unter der Autorität des UN-Sicherheitsrates" durchzuführen. Es sollte aber noch bis zum NATO-Gipfel im Januar 1994 dauern, bis die Allianz ihr Angebot nochmals erweiterte und sich bereiterklärte "von Fall zu Fall friedenswahrende und andere Operationen" - gemeint sind friedenserzwingende und friedensschaffende Maßnahmen - "unter der Autorität des UN-Sicherheitsrates oder der KSZE zu unterstützen". Der NATO-Gipfel 1994 beschloß zudem auf Initiative der Vereinigten Staaten die Erarbeitung eines Konzeptes "trennbare(r), jedoch nicht getrennte(r) militärische(r) Fähigkeiten, die durch die NATO oder die WEU" für das Krisenmanagement nutzbar sein sollten. Aus europäischer Sicht war es Ziel dieses Vorhabens, eine eigenständige militärische Handlungsfähigkeit Europas zum Krisenmanagement aufzubauen und für diese auch militärische Fähigkeiten der NATO in Anspruch nehmen zu können, wenn die USA sich an einer solchen Operation nicht beteiligen wollen. Aus Sicht der USA zielte die Initiative darauf, den politischen Willen Europas zur Beteiligung an und Durchführung von Krisenmanagement-Operationen außerhalb des Bündnisgebietes zu stärken, den militärischen Lastenanteil Europas zu vergrößern und zugleich sicherzustellen, daß das Primat der NATO als von den USA geführtes Instrument regionaler, europäischer Sicherheit nicht durch ein unabhängiges europäisches Instrumentarium zum Krisenmanagement in Frage gestellt würde. Als Diskussion über Stärkung der "Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität" (ESVI) im Kontext der NATO wurde diese Debatte zu einem prägenden Element der sicherheitspolitischen Diskussion der Folgejahre. Die europäischen Staaten unternahmen im Kontext der WEU wechselnd ernsthafte Bemühungen die militärischen Voraussetzungen für eine eigenständige europäische Handlungsoption beim militärischen Krisenmanagement zu schaffen und - für den Fall des Falles - ein gesichertes Recht des Zugriffs auf die militärischen Kapazitäten der NATO zu erhalten. Das vorrangige Augenmerk der USA galt der Verhinderung echter politisch-militärischer Eigenständigkeit der europäischen Staaten durch Anbindung an Entscheidungen der NATO. In langwierigen Diskussionen u.a. über
gelang es den USA bis zum NATO-Gipfel im April 1999, ihre Vorstellungen über eine politisch-militärische Ein- und Anbindung des WEU-Krisenmanagements weitgehend durchzusetzen und auf diese Weise das Primat der NATO als regionaler militärischer Institution für die Durchführung von Krisenmanagement-Operaionen sicherzustellen. Mangels eigener militärischer Kapazitäten und gebunden durch Abkommen aus der Frühzeit von NATO und WEU, die u.a. den Aufbau einer eigenen militärischen Struktur der WEU untersagen, war die WEU in einer vergleichsweise unkomfortablen und schwachen Verhandlungsposition. Die USA konnten über die NATO sicherstellen, daß ein Beschluß des NATO-Rates Voraussetzung jeder europäischen militärischen Krisenmanagement-Operation ist, die auf Ressourcen der NATO zurückgreifen will. Der vorrangige Zugriff der NATO auf ihre militärischen Mittel bleibt auch dann gesichert, wenn diese der WEU bereits zur Verfügung gestellt wurden. Über das Modell der Herauslösung von CJTF-HQs aus bestehenden NATO-Kommandos wird sichergestellt, daß die USA auch an Operationen beteiligt bleiben, zu denen sie keine Truppen beitragen. Bemerkenswert ist: War 1992 die Bitte der Vereinten Nationen und der KSZE um eine verstärkte Mitarbeit militärisch leistungsfähiger Staaten und ihrer Bündnisse bei Friedensmissionen der Ausgangspunkt der Debatte, so zeigt der Gang der weiteren Entwicklung, daß diesen die Bitte der kollektiven Sicherheitsorgane zwar willkommener Anlaß war, eine Neubestimmung der Aufgaben der kollektiven Verteidigungsorgane NATO und WEU vorzunehmen und diesen Institutionen eine erweiterte Daseinsberechtigung zu geben. Eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der kollektiven Sicherheitsorgane, Vereinte Nationen und KSZE/OSZE, erfolgte dagegen nicht. Diese wurden vielmehr zugunsten der miteinander zugleich konkurrierenden Verteidigungsorgane WEU und NATO zunächst geschwächt. Diese Entwicklung zeigt sich auch im Blick auf das Binnenverhältnis von Vereinten Nationen und NATO im Kontext der friedenserzwingenden militärischen Missionen im ehemaligen Jugoslawien. Die Rolle und Funktion der Vereinten Nationen wurde hier schrittweise auf die reine Mandatierung von Operationen zurückgedrängt; die konkrete Durchführung und Entscheidungsfinding oblag immer mehr der NATO-geführten Implementierungsmission IFOR/SFOR. Ein Non-Paper in Brüssel Die USA hatten ihre Position und ihre Zielvorstellungen frühzeitig in die Debatte eingebracht. Bereits im Spätsommer 1993 zirkulierte in Brüssel ein Non-Paper der US-Botschaft bei der NATO. Unter dem ausdrucksstarken Titel "With the UN whenever possible, without it when necessary?" redete das Dossier bereits Wochen vor dem öffentlich als Wendepunkt der amerikanischen Politik im Blick auf UN - Friedensmissionen gekennzeichneten Zwischenfall in Mogadischu Klartext über die längerfristigen Vorstellungen der Regierung Clinton: "Seit den frühen Tagen der Involvierung der NATO in der ehemaligen Republik Jugoslawien haben die politischen Führungen der NATO-Mitglieder das Erfordernis unter einem Mandat der Vereinten Nationen zu operieren praktisch als Conditio sine qua non dargestellt. Diese Melodie wurde sooft wiederholt, so laut und deutlich gespielt, daß es für "die 16" (NATO-Mitglieder) schwierig geworden ist, sich vorzustellen, daß die Allianz außerhalb des Vertragsgebietes auch unter anderen Voraussetzungen eine Rolle spielen könnte. Das "Out-of-Area"-Syndrom wurde überwunden - aber nur, um zugleich von einem UN-Syndrom gefolgt zu werden." Die Autoren gehen von der Annahme aus, "daß die Interessen der Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (P5) einfach zu divergierend sind, um erwarten zu können, daß diese jederzeit erfolgreich die erforderlichen Mandate hervorbringen (...) oder den Generalsekretär der Vereinten Nationen mit der erforderlichen Autorität ausstatten können, um bereits verabschiedete Mandate umzusetzen." Sie verweisen auf die Gefahr eines blockierenden Vetos im UN-Sicherheitsrat und fragen: "Warum sollte eine Elite, die nominell das bevölkerungsreichste Land der Erde repräsentiert, in Wirk-lichkeit aber nur für sich selbst steht, sich der gleichen Veto-Macht erfreuen wie die Eliten, die aus demokratischen Wahlen hervorgegangen sind, wie es in allen NATO-Staaten der Fall ist? Was für die klar undemokratische Volkrepublik China wahr ist, gilt kaum weniger auch für das nur auf kryptische Weise demokratische Rußland." Das Dokument erläutere deshalb, "warum die Notwendigkeit von UN-Mandaten demystifierziert werden muß und warum die Geschicke der globalen Organisation zunehmend von einer NATO abhängig sind, die sich ein autonomes Agieren vorstellen kann." Ein multilaterales Eingreifen der NATO könne die regionale Unterstützung für eine faire Konfliktlösung in erheblich größerem Umfang vorantreiben als die Vereinten Nationen mit ihrer erheblich größeren und diffuseren Mitgliedschaft, meinen die Autoren mit Blick auf das ehemalige Jugoslawien. "Ein größeres Engagement der NATO sichert zudem eine größere Kohärenz von (politischen) Entscheidungen und (militärischen) Ressourcen. ... Die Vereinten Nationen sind am Ende. Die Entscheidungsfindung des UN-Sicherheitsrates spiegelt deshalb ein hohes Maß an Nicht-Übereinstimmung zwischen dem, was vorort in der Konfliktsituation erforderlich ist und dem, was zur Erledigung der Aufgabe für notwendig gehalten wird. Bei einer relativ gut ausgestatteten Organisation wie der NATO ist dieses Risiko erheblich geringer." Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß ein Konsens zwischen UN-Sicherheitsrat und NATO zwar anstrebenswert sei, die NATO aber zugleich auch die Bereitschaft zu eigenständigem Handeln benötige. "Die NATO sollte die Rahmenbedingungen für die Entscheidungen der Vereinten Nationen festlegen, nicht umgekehrt. Wenn sie eigenständige handelt, dann muß die Allianz darüber hinaus betonen, daß die demokratische Natur ihrer Mitglieder und der multilaterale Charakter des Handelns es sind, die das in Art. 51 (der UN-Charta) etablierte Recht zur Selbstverteidigung zusätzlich untermauern." Eine solche Neugestaltung des Interaktionsverhältnisses zwischen UN-Sicherheitsrat und NATO mache allerdings "eine größere Aktion zur Uminformation (reinformation)" der Öffentlichkeit erforderlich. Ein Konzept für ein weitgehend von den Vereinten Nationen unabhängiges multilaterales Handeln bei friedenserzwingenden Einsätzen kommt zum Vorschein. Gestützt auf regionale militärische Bündnisse (wie die NATO) und Ad-Hoc-Koalitionen der politisch Willigen wird die Rolle der USA bei solchen Operationen gestärkt. Vom NAKR zum EAPR Willkommene Partner Eine willkommene Möglichkeit, diese Vorstellungen auch über den engeren Kreis der NATO-Mitglieder hinaus in der internationalen Staatengemeinschaft wirksam werden zu lassen, bot sich durch den Nordatlantischen Kooperationsrat (NAKR), der später in den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPR) überführt wurde und - seit dem NATO-Gipfel 1994 - durch das Programm "Partnerschaft für den Frieden" (PfP). Diese Strukturen der Zusammenarbeit mit den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes, den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und später den neutralen Staaten Europas bedurfte der praktischen Orientierung und Ausrichtung. Die Zusammenarbeit bei friedenserhaltenden Maßnahmen unter Mandat der Vereinten Nationen oder der KSZE/OSZE lag auf der Hand. Alle diese Staaten mit Ausnahme der Schweiz gehören diesen Institutionen an. Sie bot verknüpft mit der Perspektive der Vorbereitung auf eine künftige Erweiterung der Allianz zudem ideale Möglichkeiten, die Prozesse der Neugestaltung der Bündnisaufgaben und der Allianz selbst sowie deren Bemühungen um einen erweiterten Handlungsspielraum gegenüber den Vereinten Nationen und der OSZE auf eine breitere multinationale Basis zu stellen. Während der Außenministersitzung des NAKR im Dezember 1992 nahm man sich der Aufgabe an und im Februar 1993 begann die NAKR-"Ad-hoc Group on Cooperation in Peacekeeping" mit der Arbeit. Auf Basis der in der NATO geleisteten Vorarbeiten konnte sie bereits auf der nächsten Ministertagung des NAKR im Juni 1993 die Verabschiedung eines Berichtes über die "Zusammenarbeit in bezug auf friedenserhaltende Maßnahmen" - ein politisches Rahmenkonzept des NAKR für solche Maßnahmen herbeiführen.Kurz darauf wurde mit Arbeiten für eine kontinuierliche, gemeinsame Planung solcher Einsätze begonnen; ein umfangreiches multinationales Ausbildungs-, Trainings- und Manöverprogramm wurde initiiert. Unter dem Druck der Ereignisse rund um das weitgehende Scheitern des UNPROFOR-Einsatzes der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina und der Notwendigkeit, eine politisch geeignete und militärisch hinlänglich durchsetzungsfähige Implementierung für das Dayton-Abkommen zu finden wurde die Zusammenarbeit von Seiten der NATO bald auf andere Formen friedensunterstützender Maßnahmen erweitert - also auch auf friedenserzwingende Maßnahmen. Dies wies - neben der breiten Beteilgung an der Implementierung des Dayton-Abkommens - aus Sicht Washingtons und der NATO erhebliche Vorteile auf. Denn mit IFOR/SFOR wurde der Präzedenzfall einer NATO-geführten und UN-mandatierten Operation unter Beteiligung und politischer Unterstützung einer großen Zahl weiterer Staaten aus dem Kreis des NAKR und darüber hinaus geschaffen. Eine signifikante multilaterale Alternative zu Operationen unter politischer und militärischer Führung der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (Department of Peacekeeping Operations, DPKO) des UN-Sekretariats auf regionaler Basis war damit erstmals geschaffen. Ganz im Sinne Washingtons bildete die NATO den Kern dieser alternativen Option. Einen Schritt weiter in die von den USA gewünschte Richtung führt der Präzedenzfall, der mit dem Einsatz der NATO wegen des Kosovo-Konfliktes geschaffen wurde. Die von der UNO nicht mandatierten Luftwaffenschläge der Allianz riefen zwar erhebliche Kritik am unilateralen Vorgehen des Bündnisses hervor, verhinderten aber nicht, daß für die friedenserzwingende Implementierungsmission KFOR ein UN-Mandat zustande kam und der NATO ex post die Möglichkeit gab, ihr Handeln als völkerrechtlich legitimiert zu betrachten. Aus Sicht des US-Außenministeriums ist damit der erforderliche künftige Spielraum für die NATO gewahrt: "Aus Sicht der USA verrate ich kein Geheimnis, wenn ich feststelle, daß wir, wie in den Fällen Bosnien und Kosovo, an die NATO denken, wenn amerikanische Truppen bei künftigen Friedensmissionen im euro-atlantischen Raum involviert sein werden. (...) In der Tat, die NATO als Rahmen - das wird wahrscheinlich die conditio sine qua non für jede Beteiligung amerikanischer Truppen mit Kampfauftrag bei jeder solchen Operation sein." Der Blick in die Zukunft Kann aufgrund der NATO-Einsätze auf dem Balkan nunmehr davon ausgegangen werden, daß die NATO im euro-atlantischen Raum primäres oder gar alleiniges Instrument des multilateralen militärischen Handelns beim Krisenmanagement sein wird? Hat sich das Konzept der Clinton-Administration, regionalen oder Ad-hoc Gruppierungen, die unter Führung der USA stehen, zumindest für friedenserzwingende und friedensschaffende Kampfeinsätze Vorrang vor den Vereinten Nationen zu gewähren, endgültig durchgesetzt? Zunächst mag es so scheinen; auf mittlere Sicht mag es sich auch so verhalten. Im Gefolge des NATO-Vorgehens im Kosovo-Konflikt zeigen sich aber auch bereits erste gegenläufige Tendenzen. Diese resultieren zu wesentlichen Teilen aus einer weit verbreiteten Unzufriedenheit in Europa mit den von den USA dominierten Entscheidungsabläufen und Entscheidungsprozessen während des Kosovo-Konfliktes. Selbstverständigung in Europa Die wichtigste neue Entwicklung geht von der Europäischen Union (EU) aus. Sie soll sich nach dem Willen ihrer Mitglieder in den kommenden Jahren zu einem gewichtigen Akteur bei Friedensmissionen aller Art entwickeln. Ihre Mitgliedsstaaten beschlossen anläßlich der Tagung des Europäischen Rates in Köln am 3./4. Juni 1999 der EU die Möglichkeiten und Mittel zuzuordnen, die dieser eine eigenständige Durchführung von militärischen Einsätzen des Krisenmanagements im vollen Umfang der Petersberg-Aufgaben erlauben. Damit setzten sie die aus dem Amsterdamer Vertrag resultierenden neuen Möglichkeiten zur Gestaltung einer Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP) um. " Wir sind davon überzeugt, daß der Rat bei der Verfolgung der Ziele unserer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik die Möglichkeit haben sollte, Beschlüsse über die gesamte Palette der im Vertrag über die Europäische Union definierten Aufgaben der Konfliktverhütung und der Krisenbewältigung, der sogenannten Petersberg-Aufgaben, zu fassen. Im Hinblick darauf muß die Union die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf ein glaubwürdiges Militärpotential, sowie die Mittel und die Bereitschaft besitzen, dessen Einsatz zu beschließen, um - unbeschadet von Maßnahmen der NATO - auf internationale Krisen zu reagieren." Politisch weist sich die EU damit genau jenen Aufgabenbereich im Krisenmanagement zu, den auch die NATO für sich reklamiert. Dies geht einher mit der Absicht, die für ein autonomes europäisches Engagement erforderlichen militärischen Elemente nunmehr bei der EU und nicht länger bei der WEU anzusiedeln. National in Koordination und Absprache bereitgestellte militärische Mittel, von der WEU übernommene Kapazitäten wie das Satellitenzentrum und die Planungszelle sowie kooperativ oder kollektiv durch die EU aufzubauende, neue militärische Fähigkeiten sollen zu diesem Zweck integriert werden. Die EU soll zunächst im Krisenmanagement tätig zunächst werden, wenn die USA und damit die NATO als Akteur nicht zur Verfügung stehen. Operationen der EU sollen, wenn erforderlich, unter Rückgriff auf militärische Ressourcen der NATO, wenn möglich aber auch alleine unter Rückgriff auf Mittel der EU und ihrer Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Politisches Ziel ist eine eigenständige europäische Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Diese Entwicklung wird von den USA im Grundsatz als Stärkung des europäischen Beitrages zur Sicherheit des euro-atlantischen Raumes begrüßt. Doch befürchtet Washington nicht ganz zu Unrecht, daß diesem Vorgehen auch das Streben nach einer größeren europäischen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit von den USA zugrundeliegen könnte. Die meisten Regierungen der EU-Staaten sind zur Zeit sozialdemokratisch geführt. Das sozialdemokratische Konzept einer "Selbstbehauptung Europas" klingt nach. Die Schaffung eigenständiger europäischer militärischer Fähigkeiten bei der EU könnte auch dem Zweck dienen, die Einhegung der europäischen Handlungsmöglichkeiten wieder aufzubrechen. Denn diese sind der NATO zugunsten der USA beschränkt und werden bei der WEU durch verschiedene Kooperationsabkommen, die ein WEU-Handeln von einer NATO-Beschlußfassung abhängig machen, beschnitten. Die EU ist an diese Übereinkünfte nicht gebunden. Ihr Handlungsspielraum als Verhandlungspartner der NATO ist weit größer als jener der WEU. Im Blick auf die künftige Rolle der Vereinten Nationen resultiert die Frage, ob ein eigenständiges Krisenmanagement der EU zu einer Stärkung der Rolle der UNO oder zu deren weiterer Schwächung beitragen wird. Dies entscheidet sich daran, ob sich die EU - wie die NATO - letztlich die Option zu nicht durch die Vereinten Nationen mandatierten militärischen Einsätzen offenhält. Bislang bindet sie sich an das Vorhandensein eines Mandates der Vereinten Nationen oder der OSZE. Die künftige Rolle der OSZE Zu klären bleibt auch die künftige Rolle der als Regionalorganiosation der Vereinten Nationen nach Kapitel VIII der UN-Charta anerkannten OSZE. Hatte deren Vorläufer, die KSZE, noch 1992 eine wesentliche Rolle gespielt, um NATO und WEU den Weg zur Entdeckung und Übernahme neuer Aufgaben des Krisenmanagements mit internationaler Legitimation zu eröffnen, so stellt sich die Lage sieben Jahre später erheblich anders dar. Die OSZE ist als potentieller Akteur der militärisch gestützten Sicherheitspolitik bzw. als Akteur bei der Durchführung von militärischen Friedensmissionen weitgehend zurückgedrängt worden. Als mandatierende Organisation für friedenserhaltende Missionen trat sie nicht in Erscheinung. Ihre Aufgaben sind zunehmend in die Bereiche Konfliktvorbeugung und verhütung, Beobachtermissionen in Krisengebieten sowie ziviles Konfliktmanagement verlagert worden. Dies entspricht den Vorstellungen der USA über die künftige Rolle der OSZE und dem Primat der NATO als militärischer Akteur im euro-atlantischen Raum. In einer Rede vor dem Erweiterten Ständigen Rat der OSZE machte ein hochrangiger Mitarbeiter des US-Außenministeriums, Ronald Asmus, die Zielvorstellung der Vereinigten Staaten für die OSZE am 26. Juli 1999 deutlich: "Wir glauben, daß die OSZE eine entscheidende Rolle bei friedenserhaltenden Missionen spielen kann, aber daß diese Rolle sich zuallererst auf die OSZE als den entscheidenden zivilen Partner bei friedenserhaltenden Maßnahmen konzentrieren sollte und nicht darauf, daß die OSZE als die Institution fungiert, die die militärischen Fähigkeiten für solche Operationen bereitstellt." Die OSZE solle damit nicht in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden - es handele sich lediglich um Realismus im Blick auf die Fähigkeiten der Organisation. Zugleich wird trotz dieser Einschränkung deutlich: Aus Sicht der USA bleibt die Rolle des militärischen Akteurs für die NATO und die EU reserviert, ein Interesse an einer zu eigenständigen friedenserhaltenden Missionen befähigten OSZE besteht nicht. Bemerkenswert ist allerdings das jüngst verstärkte Interesse der USA, nunmehr - nach Jahren einer Politik der Verzögerung - sehr schnell zu der Verabschiedung eines neuen Grundlagendokumentes der OSZE, einer Charta der Europäischen Sicherheit für das 21. Jahrhundert, zu kommen. In dieser Charta sollen die Rolle und die Aufgaben aller sicherheitspolitischen Institutionen im euro-atlantischen Raum festgelegt werden sollen. Die Zukunft der NATO Abschließend muß noch einmal die Frage nach der künftigen Rolle der NATO aufgeworfen werden. Wurde die Rolle der NATO bei Friedensmissionen und Krisenmanagement durch die Entwicklungen des vergangenen Jahres auf Kosten der Vereinten Nationen gestärkt? Macht das Bündnis die Vereinten Nationen auf längere Sicht im Hinblick auf die Sicherheit des euro-atlantischen Raumes überflüssig? Der Luftwaffeneinsatz der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ist keinesfalls jener glänzende und vollständige Sieg gewesen, den die Allianz öffentlich präsentiert. Belgrad hat nicht bedingungslos kapituliert, wie manche westliche Militärs es gerne suggerieren. Die militärische Handlungsfähigkeit Jugoslawiens besteht fort. Auch künftig können militärische Auseinandersetzungen auf dem Balkan z.B. in Montenegro nicht ausgeschlossen werden. Für die Rückkehr zu einem politischen Lösungsansatz bedurfte die NATO der tatkräftigen Mithilfe Rußlands und der Vereinten Nationen. Innerhalb der NATO stand diese Suche unter Führung wichtiger EU-Mitglieder. Die EU trat als eigenständiger Akteur auf. Die USA beteiligten sich erst aktiv, als bereits deutlich geworden war, daß dem Bündnis in der Tat eine politische Zerreißprobe mit dauerhaften Schäden drohte. Der drohende Einsatz von Landstreitkräften hätte diesen ebenso nach sich gezogen wie eine erheblich längere Fortdauer der Luftangriffe. Ob der Einsatz der UN-mandatierten Friedenstruppe KFOR, die unter Führung der NATO steht, zu dem gewünschten politischen Ergebnis und Erfolg führen wird, bleibt mit Sicherheit noch auf längere Zeit ungewiß. Sie bindet unterdessen mittel- bis längerfristig in erheblichem Umfang und zu hohen Kosten militärische Kräfte der USA als auch anderer Staaten auf dem Balkan. Dies schränkt die Handlungsfreiheit aller beteiligten NATO-Staaten ein. US-Verteidigungsminister William Cohen mahnte kürzlich bereits zur Vorsicht: "Friedensmissionen durchzuführen stellt keine vorrangige Aufgabe dar - das gilt sicher für die US-Streitkräfte und ich vermute, in vielen anderen NATO-Staaten ist das auch so. Friedensmissionen erfordern einfach eine andere Art des Trainings und der Fähigkeiten" (als Kriegführung)" Zugleich steht die Diskussion über die politischen Konsequenzen des nicht-mandatierten NATO-Einsatzes gegen die Bundesrepublik Jugoslawien weiter aus. Diese Diskussion betrifft nicht nur das Verhältnis der NATO zu den Vereinten Nationen, sondern sie wird vor allem auch die Debatte über die Zukunft und das künftige Selbstverständnis - und damit den Charakter - der Allianz geführt werden. Sie ist mit der Verabschiedung des neuen Strategischen Konzeptes der Allianz in Washington nicht abgeschlossen worden. Sie steht noch aus. Die Kernfragen dieser Diskussion sind bereits erkennbar: Deutlich wird, daß keine dieser Fragen in Kürze und endgültig beantwortet werden wird. Deutlich wird aber auch, daß die gegenwärtige Entwicklung die Grenzen der bisherigen Politik der NATO und der Regierung Clinton sichtbar gemacht hat. Eine neuerliche Überprüfung der Politik multilateraler Friedensoperationen wird dringlich. Eine neuerliche Aufwertung der Rolle der Vereinten Nationen bei Friedensmissionen kann nicht ausgeschlossen werden. Otfried Nassauer ist Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) Fußnoten
|