US Atomwaffen in Europa
von Otfried Nassauer
Die USA lagern einen Teil ihrer aktiven Atomwaffen in Europa. Nach Schätzungen von
Experten handelt es sich um rund 480 nukleare Bomben, der modernen Typen B-61-3,4 und 10.
Diese Waffen sind für NATO-Aufgaben und den Einsatz durch Jagdbomber der USA sowie
einiger europäischer Nationen vorgesehen, die sich an der nuklearen Teilhabe der NATO
beteiligen. Dies sind derzeit Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die
Türkei.
Eingesetzt werden dürfen die US-Atomwaffen nur, wenn der US-Präsident den Einsatz
freigegeben hat und vorort auf einem gesonderten amerikanischen Befehlsweg der
Freigabecode für die Sicherheitssysteme eingegangen ist.
In Deutschland können theoretisch bis zu 216 Waffen in Ramstein, dem zentralen Lager
der US-Luftwaffe in Europa, und bis zu 44 in Büchel, dem Standort des
Jagdbombergeschwaders 33 der Bundeswehr, gelagert werden. Vorhanden sind vermutlich rund
130 Waffen in Ramstein und 20 in Büchel. Zusätzlich können Lagermöglichkeiten für bis
zu 44 weitere Waffen in Nörvenich reaktiviert werden. Dort wurden die Lagermöglichkeiten
außer Dienst gestellt wurden. Europaweit gibt es in sechs Ländern aktive
Lagermöglichkeiten an acht Standorten für maximal 700 Waffen. Reaktiviert werden können
vier weitere Standorte für 116 Waffen.
Die Nuklearwaffen werden in geschützten unterirdischen Magazinen, sogenannten Vaults
(Grüften siehe Photo) aufbewahrt, die in den Boden von Flugzeugschutzbauten auf
ausgewählten Fliegerhorsten eingebaut wurden. Jedes Magazin kann maximal vier Waffen
aufnehmen und wird mit spezieller Technik fernüberwacht.
Für die Wartung und den Zugang zu den Atomwaffen sind an den Standorten der
europäischen Streitkräfte jeweils über 100 US-Spezialisten zuständig. Sie tun in
speziellen Einheiten Dienst, den Munitions Special Support Squadrons. Diese Soldaten sind
auch dafür zuständig, dass nie ein einzelner Soldat oder gar ein Europäer ohne
Begleitung durch US-Soldaten Zugang zu einer Atomwaffe bekommt. Fliegerhorste, auf denen
Atomwaffen stationiert sind, haben eine zusätzliche Wachmannschaft. Bei der Bundeswehr
heißt diese Luftwaffensicherungsstaffel "S" - wie Sonderwaffen.
Die Bomben vom Typ B-61 verfügt über relativ moderne Sicherungssysteme und eine
variable Sprengkraft von so vermuten Experten bis zu 80 Kilotonnen. Das
entspricht mehr als der 5-fachen Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe. Die B-61-10 wurde
Ende der achtziger Jahre aus den nicht mehr benötigten Sprengköpfen der
Mittelstreckenrakete Pershing-II-Rakete entwickelt, die aufgrund des Vertrages über den
Abbau landgestützer atomarer Mittelstreckenwaffen von 1987 (INF-Vertrag) abgezogen werden
konnten. Nach dem Umbau kamen die Sprengköpfe nach Europa zurück.
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die US-Nuklearwaffen in Europa vor allem eine
politisch-psychologische Funktion. Sie sind ein Zeichen dafür, daß die NATO-Staaten
diesseits und jenseits des Atlantiks sich unter keinen Umständen auseinanderdividieren
lassen und die Risiken ebenso wie die Verantwortung gemeinsam tragen wollen, die mit
Nuklearwaffen verbunden sind. Ihre militärische Funktion haben diese Waffen weitgehend
verloren, da die Ziele, gegen die sie eingesetzt werden sollten, heute keine Ziele mehr
sind. Für neue Ziele, die seit Ende des Kalten Krieges Aufnahme in die NATO-Planungen
fanden, sind diese Waffen meist auch militärisch schlechter geeignet als moderne
konventionelle Waffen. Politische Bestrebungen Washingtons, den Waffen neue Rollen bei der
Abschreckung und Bekämpfung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen
zuzuweisen, sind bislang in der NATO nicht auf Gegenliebe gestoßen. Allerdings planen die
USA ihre in Europa gelagerten Atomwaffen auf nationaler Ebene auch für Einsätze
ausserhalb des NATO-Gebietes, z.B. im Mittleren Osten mit ein.
Die Zahl der nuklearen Waffen und der Standorte, an denen sie in Europa gelagert
werden, wurde seit 1991 deutlich reduziert. Die Möglichkeit einer neuen Reduzierungsrunde
kündigte NATO-Oberbefehlshaber James L. Jones, überraschend im März 2004 an. Details
nannte er allerdings nicht. Eines der wichtigsten Beratergremien des Pentagons, das
Defense Science Board, empfahl fast gleichzeitig den völligen Verzicht auf diese Waffen.
Die "nukleare Teilhabe" der nicht-nuklearen NATO-Staaten ist politisch
umstritten. Sie würde es im Kriegsfall ermöglichen, daß Piloten aus einem
nicht-nuklearen Staat, der Mitglied des Nichtverbreitungs- bzw. Atomwaffensperrvertrages
(NVV) ist, Atomwaffen einsetzen. Dies wird von der Mehrheit der NVV-Vertragsstaaten, den
Nichtpaktgebundenen, als Vertragsverletzung betrachtet.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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