BITS Stichwort
März 2005


Die NATO Eingreiftruppe

von Otfried Nassauer

Die NATO baut mit großer Geschwindigkeit eine schnelle Eingreiftruppe, die NATO Response Force (NRF) auf. Im Oktober 2002 brachte US- Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Idee auf. Der Prager NATO-Gipfel beschloß sie im November 2002. Im Frühjahr 2003 wurde ein Konzept erarbeitet und dann vom NATO-Rat gebilligt. Am 16. Juli traf man sich zur Truppensteller-Konferenz. Am 15.Oktober 2003 wurden die ersten Teile in Dienst gestellt - 9.000 Soldaten.

In sieben Phasen soll die Truppe bis 2006 auf rund 21.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte aufwachsen. Diese bilden einen Pool, aus dem bei Bedarf Eingreifverbände zusammengestellt werden können. Alle Truppenteile müssen binnen fünf Tagen mobilisierbar und für 30 Tage autonom einsetzbar sein. Auch Frankreich beteiligt sich an der ersten Phase mit 1.700 Soldaten. Nur 300 kommen aus den USA. Deutschland stellt derzeit 1.100; später sollen es mehr als 5.000 sein. Das Hauptquartier entsteht in Portugal.

Aufgabe der zu Beginn nur aus Luft- und Seestreitkräften bestehenden Truppe ist es zunächst, die für den Einsatz notwendigen Strukturen, Konzepte und Verfahren zu erproben. Schnelligkeit und die Fähigkeit, sich militärisch rasch durchzusetzen - darauf soll es ankommen.

Aufgabe der Eingreiftruppe ist es, die europäischen NATO-Staaten zu befähigen, sich weltweit an kurzfristig geplanten NATO-Interventionen jeder Art zu beteiligen. Sie sollen mit begrenzten, dem Leistungsspektrum der US-Streitkräfte ebenbürtigen Kräften beispielsweise an Einsätzen zur Bekämpfung des Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen teilnehmen. Der Bedarf entstand, als die NATO ihr Aufgabenfeld und ihre geografische Zuständigkeit 2002 erweiterte. Die neue Eingreiftruppe stellt die europäischen NATO-Staaten vor politisch und völkerrechtlich umstrittene Fragen wie den präventiven oder präemptiven Einsatz militärischer Gewalt oder Einsätze ohne Mandat der Vereinten Nationen.

Der Aufbau der Truppe steht in latenter Konkurrenz zu dem Bemühen der EU, sich Fähigkeiten zum militärischen Krisenmanagement zu schaffen, insbesondere zum Aufbau der europäischen Battlegroups. Konkurriert wird um knappe finanzielle und militärische Ressourcen, aber auch um politische Handlungsspielräume.

Die NRF benötigt substantielle Ressourcen: Um 21.000 Soldaten in einem sechsmonatigen Bereitschafts- und Einsatzzyklus zu halten, sind mindestens drei Kontingente dieser Größe nötig – also rund 60.000 Soldaten. Zwei Kontingente stehen nicht für andere Aufgaben zur Verfügung, weil das erste Einsatzbereitschaft hat und das zweite sich darauf vorbereitet.

Viele europäischen Staaten planen ihren Beitrag aus dem gleichen Kräftebestand, der für die EU vorgesehen ist. Kräfte, die für die NATO in Einsatz oder Bereitschaft stehen, können nicht zugleich der EU zur Verfügung stehen und umgekehrt. Die NRF umfaßt damit das kampfkräftigste Drittel der auch für die EU vorgesehenen Kräfte.

Um diese potentielle Konkurrenz abzumildern, können Länder, die Truppen für den NATO-Verband stellen, ihre Zusage unter "besonderen Umständen" zurücknehmen. Zum Beispiel, wenn Einheiten für nationale Zwecke oder einen EU-Einsatz benötigt werden. So steht es im Gesamtkonzept der NATO für die neue Truppe. Doch das wirft neue Fragen auf: Ist die NRF nur dann vollzählig einsatzbereit, wenn kein Staat von dieser Möglichkeit Gebrauch macht? Was sind "besondere Umstände"? Könnte es passieren, dass NATO und EU wetteifern, wer seinen Bedarf an nationalen Kräften als Erster anmeldet? Könnte sich die Neigung beider Organisationen verstärken, frühzeitig militärische Krisen-Lösungen ins Auge zu fassen?

Ein weiteres Problem: Die Kontingente der NRF sollen so ausgestattet werden, daß sie bei Operationen aller Art mit US-Truppen zusammenwirken können. Die transatlantische technologische Lücke soll bei diesen Einheiten schrittweise geschlossen werden. Dies kann angesichts der knappen Zeitvorgaben nur gelingen, wenn die europäischen Einheiten nach amerikanischem Vorbild modernisiert werden. Geschieht das, sind für die Zukunft Probleme beim Zusammenwirken dieser Einheiten mit anderen europäischen Krisenmanagementkräften vorhersehbar.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS