BITS Stichwort
Juli 2012


Der Bundessicherheitsrat und die Rüstungsexporte

von Otfried Nassauer


Der Bundessicherheitsrat (BSR) ist das wichtigste Entscheidungsgremium der Bundesregierung für Rüstungsexporte. Er entscheidet endgültig über politisch oder zwischen den Ministerien umstrittene Exportgeschäfte sowie über Grundsatzfragen des Rüstungsexports.

Der BSR ist ein ständiger Kabinettsausschuss unter Vorsitz der Bundeskanzlerin. Ihr Stellvertreter ist der Vizekanzler. Wenn beide verhindert sind, übernimmt der Verteidigungsminister den Vorsitz als Beauftragter Vorsitzender. Dem BSR gehören die Bundesminister(innen) der Verteidigung (BMVg), des Äußeren (AA), des Inneren (BMI), der Wirtschaft (BMWi), der wirtschaftlichen Zusammenarbeit (BMZ), der Justiz (BMJ) und der Finanzen (BMF) an. Nicht alle Minister(innen) sind bei allen Sitzungen bzw. bei allen Tagesordnungspunkten einer Sitzung anwesend.

Zusätzlich nehmen an seinen Sitzungen der Bundeskanzleramtsminister (beobachtend) und  der Sekretär des BSR, ein leitender Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes (Ltr. Grp22), teil. Letzterer führt auch die Geschäfte des BSR. Er ist sowohl für das Protokoll als auch für die Sitzungsvorbereitung zuständig. Zusätzlich werden zu bestimmten Tagesordnungspunkten oder Einzelfragen häufiger auch Mitarbeiter des BNDs oder der zuständigen Ministerien  hinzugerufen. Ein interministerieller Vorbereitungsausschuss arbeitet dem Sekretär  zu. Auf seine Einladung können –was häufiger passiert - auch Staatssekretärsrunden zur Vorbereitung und Entschlackung der Tagesordnung einberufen werden. Die Sitzungen des BSR finden nach Bedarf und unregelmäßig statt, i.d.R. etwa 2-4 mal im Jahr. Seine Geschäftsordnung, Sitzungstermine, Tagesordnungen und Beschlüsse werden geheim gehalten. Das Protokoll wird derzeit als reines Ergebnisprotokoll geführt.

Im BSR wird zumeist über Voranfragen von Staaten und Firmen diskutiert und entschieden, die Rüstungsexportgeschäfte verhandeln wollen. Werden solche Voranfragen positiv entschieden, so wird über das BMWi das BAFA angewiesen, dem Anfragenden schriftlich eine positive Antwort zukommen zu lassen. Das geschieht meist binnen kurzer Frist. Mit dieser positiven Antwort tritt zugleich eine verwaltungsrechtliche Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland ein, die innerhalb der rechtlichen Regelungen z.T. zeitlich befristet gilt. Die Anfragesteller dürfen nun in der Annahme handeln, dass auch ein späterer Genehmigungsantrag für dieses Exportgeschäft positiv entschieden würde, wenn sich der Umfang und Gegenstand des Geschäfts (z.B. Stückzahl oder Rüstungsgut) oder die Umstände im Empfängerland nicht zwischenzeitlich substantiell verändert haben. Ist Letzteres der Fall, so kann das Geschäft theoretisch doch noch von der Bundesregierung untersagt werden, wenn ein konkreter Antrag auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung zur Entscheidung ansteht.

Firmen, denen eine positive Antwort auf ihre Voranfrage vorliegt und denen später eine Exportgenehmigung verweigert wird, können gegen die Entscheidung verwaltungsgerichtlich vorgehen und ggf. Schadensersatz von der Bundesregierung einfordern. Zu solchen Rechtsstreitigkeiten kommt es jedoch selten, da – um Kosten zu sparen und den außenpolitischen Schaden im Verhältnis zu den Empfängerländern zu mindern – nur sehr selten förmliche Ablehnungen erfolgen. Meist wird den antragstellenden Firmen signalisiert, dass derzeit nicht mit einer Genehmigung zu rechnen wäre, aber ja auch einer erneute Änderung der Umstände eintreten könne, die das Geschäft wieder genehmigungsfähig mache.

Der BSR trifft aus Gründen der formalen Zuständigkeit und Erfordernis natürlich auch Entscheidungen über konkrete Genehmigungsanträge für Exporte. Dies kann jedoch auch ohne Diskussion geschehen. Exportanträge, die Fälle betreffen, in denen zuvor eine Voranfrage positiv beschieden wurde, werden später aufgrund der Bindewirkung der Antwort auf die Voranfrage in der Regel nur noch als Tagesordnungspunkt ohne Diskussion geführt. Die Tagesordnung des BSR kennt deswegen A und B-Punkte, also Tagesordnungspunkte mit und ohne Diskussion.

Über konkrete Genehmigungsanträge für Exporte von Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter diskutiert der BSR meist nur dann, wenn entweder keine Voranfrage vorausging oder wenn Mitglieder des BSR der Auffassung sind, dass sich die Umstände des geplanten Geschäftes gravierend verändert haben und eine frühere Entscheidung revidiert oder die Erteilung einer Genehmigung verschoben werden sollte.

Natürlich befasst sich der BSR nicht mit jedem der 15.-25.000 Genehmigungsanträge oder allen Voranfragen für Rüstungsexportgeschäfte, die jährlich gestellt werden. Die meisten dieser Anträge werden durch das BAFA entschieden. Anträge und Voranfragen von grundsätzlicher Bedeutung, für bestimmten Länder oder solche, die Kontroversen auslösen könnten, werden dem Wirtschaftministerium vorgelegt. Sieht dieses die Notwendigkeit andere Häuser zu beteiligen, so bittet es um deren Stellungnahme. Im BSR werden letztlich nur jene Fälle diskutiert, in denen auf der „Arbeitsebene“ der zuständigen Ministerien keine Einigung erzielt werden konnte oder die Notwendigkeit einer Entscheidung durch die politische Führung der Regierung für notwendig gehalten wurde, da eine politische Legitimation und Verantwortung für die  Entscheidung gewünscht wird.

Gelegentlich diskutiert der BSR auch über grundsätzlichere Fragen der Rüstungsexportpolitik, die Lage in bestimmten Empfängerländern oder über Grundsatzentscheidungen für den Bereich der Dual-Use Güter (z.B. Gütern, die für den Bau von weitreichenden Flugkörpern verwendet werden können (MTCR)). Dann steht zum Beispiel zur Debatte oder Entscheidung, ob Deutschland politisch bereit ist, bestimmte militärische Güter – z.B. Panzer- in bestimmte Staaten oder Regionen (z.B. auf die arabische Halbinsel) zu liefern. Soll das grundsätzlich zulässig sein und nur im Einzelfall versagt werden? Soll jeder Fall als Einzelfall entschieden werden? Oder sollen solche Genehmigungen immer versagt werden? Wird eine solche Grundsatzentscheidung getroffen, so ist sie – bis eine neue Entscheidung getroffen wird - sowohl für die Bundesregierung als auch für Behörden wie das BAFA entscheidungsleitend.

Beschlüsse des BSR werden derzeit mit einfacher Mehrheit getroffen. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme der Bundeskanzlerin. Darin folgt der BSR heute den Verfahrensweise des Gesamtkabinetts. Früher war es üblich, Entscheidungen nur im Konsens zu treffen, damit kleinere Koalitionspartner nicht überstimmt werden konnten. Diese Praxis wurde von der ersten rot-grünen Bundesregierung aufgegeben. Formal sind die Entscheidungen des BSR nur Empfehlungen für spätere Entscheidungen des Gesamtkabinetts. Der Bundessicherheitsrat kann seine Entscheidungen auch im Umlaufverfahren treffen. Dies geschieht relativ selten.

In der Vergangenheit hat sich die Zusammensetzung des Bundessicherheitsrates mehrfach geändert. Der  BMJ kam 1985 hinzu, der BMZ und der Kanzleramtsminister 1998. Der Generalinspekteur der Bundeswehr dagegen verlor das Recht, beratend an den Sitzungen des BSR teilzunehmen.

In der Zuständigkeit des BSR liegen neben den Fragen des Rüstungsexportes auch andere wichtige sicherheitspolitische Fragen. Seit 1998 wird er wieder als Organ der ressortübergreifenden Koordinierung deutscher Sicherheitspolitik betrachtet. Die ersten Beratungen der Bundesregierung über die Anschläge am 9.11.2001 fanden beispielsweise im BSR statt. In der Praxis und vor allem in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung spielt der BSR allerdings fast ausschließlich die Rolle, das letztendlich über Rüstungsexportgenehmigungen entscheidendes Gremium zu sein.

Der BSR wurde 1955 als Bundesverteidigungsrat gegründet und sollte der ressortübergreifenden Koordinierung der Landesverteidigung und der Gesamtverteidigung sowie der Diskussion strategischer Fragen deutscher Sicherheitspolitik dienen. Im November 1969 wurde er in BSR umbenannt. Seit 1990 stellt der BSR das Kuratorium der Bundesakademie für Sicherheit (BAKS) des Bundesministeriums der Verteidigung.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS