BITS Stichwort
Juni 2004


"Herkules" - ein Mammutprojekt

von Christopher Steinmetz

Vernetzung und IT – Informationstechnik – so lauten auch bei der Bundeswehr die Schlagworte der Moderne. "Herkules" heißt das größte Modernisierungsvorhaben. Für zehn Jahre sollen alle zivilen, nicht sicherheitskritischen IT-Systeme der Bundeswehr von der Privatindustrie modernisiert und betrieben werden. Das will die Bundeswehr sich etwa 6,6 Milliarden Euro kosten lassen, die in Jahresraten von je 665 Millionen Euro gezahlt werden sollen.

Die privaten Anbieter sollen dafür unter anderem zwei Verwaltungsrechenzentren modernisieren und betreiben, ein flächendeckendes, leistungsstarkes Netz für Telekommunikation und Datenverkehr aufbauen und betreiben, alle Bundeswehrrechner auf eine moderne, einheitliche Software umstellen und dafür sorgen, dass an jedem Arbeitsplatz auch immer ein moderner Rechner mit gepflegter Software steht. Zur Durchführung der "Herkules"-Aufgaben soll eine IT-Gesellschaft gegründet werden, an der die Privatindustrie die Mehrheit und die Bundeswehr maximal 49,9 Prozent hält.


Die Vorgeschichte

Der Bundeswehr geht es vor allem um eine einheitliche Datenverarbeitung. Zu "Herkules" wurden deshalb 2001 drei kleinere Projekte zusammengeführt, die schon 1999 als Pilotprojekte für eine Zusammenarbeit von Wirtschaft und Bundeswehr ins Leben gerufen worden waren.

Für das Großprojekt interessierten sich viele. An der Ausschreibung beteiligten sich sieben Konsortien, zwei kamen in die engere Auswahl. Das Verteidigungsministerium (BMVg) entschied sich für das Angebot des Konsortiums ISIC-21. In diesem arbeiten unter Führung des IT-Unternehmens CSC Ploenzke der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS und die mittlerweile angeschlagene Mobilcom mit.


Probleme und Risiken

Seit September 2003 wurde über vertragliche Einzelheiten wie Leistungspakete, Stückzahlen, Fristen und Kosten verhandelt. Mitte 2004 sollte der Vertrag unter Dach und Fach sein, weil für 2005 Haushaltsmittel eingestellt werden sollen. Aber eine Einigung konnte nicht erzielt werden. "Herkules" steht auch noch nicht auf der Liste der Beschaffungsvorhaben, mit denen sich der Bundestag in diesem Jahr befassen soll, damit 2005 Geld für sie da ist.

Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Risiken entstehen für das Vorhaben. Schon jetzt gelten einige der technischen Anforderungen als überholt. Der Umfang der Leistungen ändert sich, weil die kleinere Bundeswehr der Zukunft weniger Standorte hat und weniger Computer und Telefonanschlüsse braucht. Je mehr Änderungen gegenüber der ursprünglichen Ausschreibung aber eintreten, desto wahrscheinlicher wird es, dass das unterlegene Bieterkonsortium eine Neuausschreibung des gesamten Projektes einklagen kann. Das aber würde das Reformvorhaben erneut um wenigstens zwei Jahre verzögern.


Risiko "Öffentliches Vergaberecht"

Bundeswehr und Industrie gingen bisher davon aus, dass die künftige IT-Gesellschaft nicht an das öffentliche Vergaberecht gebunden ist, weil sie mehrheitlich in Privatbesitz wäre. Der erhoffte Vorteil: Sie könnte auf zeitaufwendige Ausschreibungsverfahren verzichten, die für die öffentliche Hand Pflicht sind. Das spart Zeit und Kosten.

Doch diese Rechnung könnte ohne den Wirt entstanden sein. Deutsche Gerichte haben bisher immer entschieden: Nimmt eine Firma Kernaufgaben des Bundes wahr, so ist sie an das öffentliche Vergaberecht gebunden, auch wenn der Bund nur eine Minderheitsbeteiligung hält. Gilt das auch für die künftige IT-Gesellschaft, dann ist die Zeit- und Kostenkalkulation für "Herkules" Makulatur. Leicht könnten mehrere Hundert Millionen Euro zusätzlich nötig werden.


Es könnte teuer werden

Ein Risiko ist auch die "Laufzeit" von zehn Jahren. Während die Industrie schubweise viel Geld für Investitionen ausgeben muss, will das Verteidigungsministerium immer gleiche Jahresraten zahlen. Die Risiken der Preis- und Inflationsentwicklung soll die Industrie tragen. Kalkuliert sie vorsichtig, dann bietet sie deshalb weniger für mehr Geld an, um auf der sicheren Seite zu sein. Die Verträge könnten – wie schon bei anderen Privatisierungsvorhaben der Bundeswehr - auch versteckte Kosten oder Leistungsminderungen enthalten. Dann kommt "Herkules" die Bundeswehr teuer zu stehen.

Das Verteidigungsministerium hat kaum Alternativen zu ISIC-21. Bezieht es die Konkurrenz um Siemens wieder ein, dann kostet das viel Zeit und wohl auch mehr Geld. Reduziert es die Leistungsanforderungen an Modernisierung und Wartung, dann wächst das Risiko einer halbfertigen oder nicht ausreichend leistungsfähigen Lösung. In beiden Fällen wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich "Herkules" zu einem Debakel wie Toll Collect entwickelt.


 

   ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS.