BITS Stichwort
März 2005


Mini-Nukes

von Otfried Nassauer

Die Abgeordneten im US-Kongress wunderten sich, als sie im März 2003 den Entwurf für das Verteidigungshaushaltsgesetz 2004 auf den Tisch bekamen. Dort fand sich ein unscheinbarer Passus, in dem die Aufhebung des Spratt-Furse Amendements, eines rechtlich bindenden Gesetzeszusatzes aus dem Jahr 1994, verlangt wurde. Dieser Zusatz verbot konkrete Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an Mini-Nukes, Atomwaffen mit einer Sprengkraft von weniger als 5 Kilotonnen. Er war als Hürde gegen die Entwicklung und Einführung von Atomwaffen kleiner (weniger als 5 Kilotonnen) und kleinster (weniger als 1 Kilotonne) Sprengkraft gedacht, verbot aber weder Grundlagenforschung noch Konzeptstudien.

Das Haushaltsgesetz, das Ende 2003 verabschiedet wurde, ermöglicht nun die Arbeit an Mini-Nukes. Der Spratt-Furse Gesetzeszusatz wurde durch einen deutlich weicher formulierten Passus ersetzt. Das war ein bedeutender Sieg für einen kleinen Kreis konservativer Republikaner und Nuklearwaffenlobbyisten, die seit vielen Jahren beklagten, Washington betreibe nukleare Selbstbeschränkung. Es habe nicht die geeigneten Nuklearwaffen, um den militärischen Anforderungen der Zukunft gerecht und mit den Gegnern der Zukunft fertig zu werden. Die Nuklearwaffeninfrastruktur - von den Atomwaffenlaboren über die Fertigungsstätten bis hin zu den Testanlagen - veralte. Der wissenschaftliche Nachwuchs werde vernachlässigt. All das gelte es schnellstens zu ändern.

Nun hofft diese Lobby, ihre schon gegen Ende des Kalten Krieges entwickelten Konzepte und Ideen in die Tat umzusetzen. Zwar hat ihnen der Kongress für den Haushalt für 2005 einen Strich durch die Rechnung gemacht und die Mittel gestrichen. 2006 aber soll ein neuer Anlauf unternommen werden. Der Einsatz von Nuklearwaffen, so ihre Vorstellung, muss glaubwürdig angedroht werden können, damit mit der Drohung eine echte Abschreckungs- und Erpressungswirkung verbunden ist. Die Waffen müssen also glaubwürdig in der Lage sein, die vorgesehenen gegnerischen Ziele zerstören zu können. Sie dürfen keinen zu großen ungewollten Kollateralschaden, also ungewollte Nebenwirkungen wie z.B. atomaren Fallout hervorrufen, wenn sie in der Nähe bewohnter Gebiete eingesetzt werden. Daraus würde eine zu große Selbstabschreckung resultieren. Es sei Zeit für ein zweites Nuklearzeitalter mit einer anderen Form der Abschreckung,

Mini-Nukes als Atomwaffen mit geringer Sprengkraft sollen das ermöglichen. Entwickelt werden sollen Waffen mit einem Bruchteil der Sprengkraft der vorhandenen, vor allem Waffen mit weniger als einer Kilotonne Explosionskraft. Sie sollen den Einsatz atomarer Waffen dort ermöglichen, wo der großer Atomwaffen nicht zu rechtfertigen ist. Die Abschreckung werde umso glaubwürdiger je einsetzbarer die eigenen Waffen sind. Ein nuklearer Bunkerknacker mit kleinster Sprengkraft könne gegen verbunkerte Ziele sogar in städtischen Gebieten zum Einsatz kommen, wenn der atomare Fallout weit genug reduziert werden kann – so argumentieren die Befürworter. Mancher hofft sogar, daß am Rand des Einschlagskraters einer solchen Waffe in Zukunft keine Radioaktivität mehr nachweisbar sei. Mini-Nukes mit erhöhter Strahlungswirkung, ähnlich der Neutronenbombe, oder mit besonders großer Hitzeentwicklung seien mögliche Mittel zur rückstandslosen Bekämpfung chemischer und biologischer Waffen. Der Traum von der "sauberen Atombombe". Doch das glaubt nicht einmal der Leiter des US-Atomwaffenprogramms, Linton Brooks.

Amerikanische Wissenschaftler haben in mehreren Studien ausführlich begründet, warum sie Zweifel haben, dass mit den neuen Nuklearwaffen erreicht werden kann, was vorgeblich erreicht werden soll. Sie fürchten vor allem, dass mit diesen Waffen die Grenze zwischen konventionellen und atomaren Waffen verwischt wird. Das könnte den Einsatz atomarer Waffen wahrscheinlicher machen. Zudem machen sie darauf aufmerksam, dass ein wichtiges Motiv für die Entwicklung neuer Waffen darin liegen könne, neue Gründe für die Wiederaufnahme von Nuklearwaffentests zu schaffen. Sie glauben, dass die meisten Ziele, gegen die Mini-Nukes eingesetzt werden sollen, auch und meist besser mit konventionellen Waffen zerstört werden können.

Mit einer Befürchtung aber dürften die Kritiker wohl Recht behalten: Sie fürchten, dass Washingtons Drang nach neuen atomaren Waffen auch in Russland und in anderen Atomwaffenstaaten den Ruf nach neuen Waffen lauter werden läßt..


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS