Sudan: Konflikte seit einem halben Jahrhundert
von Christopher Steinmetz
Seit der Unabhängigkeit 1956 werden auf dem Territorium des Sudan Konflikte gewaltsam
ausgetragen, mal mehr und mal weniger intensiv. Nur zwischen 1972 und 1983 gab es eine
Phase relativer Ruhe. Über die Zahl der Opfer existieren nur grobe Schätzungen. Seit
1983 sollen mehr als zwei Millionen Menschen im Krieg oder an dessen direkten Folgen
gestorben sein. Hinzu kommt das ungewisse Schicksal von mehr als vier Millionen
vertriebenen und entführten Sudanesen sowie das von Hunderttausenden von Flüchtlingen,
die im Sudan Zuflucht vor Kriegen in den Nachbarstaaten suchten.
Zwei Konstanten prägten den Konfliktverlauf. Seit fast 50 Jahren wird das Geschehen
maßgeblich vom Antagonismus zwischen den Regierungseliten des arabisch-islamischen
Nordens und Unabhängigkeitskämpfern des afrikanischen, christlich-animistischen Südens
bestimmt. Seit mindestens 30 Jahren gibt es zudem Wechselwirkungen mit den Kriegen in den
Nachbarstaaten: Äthiopien und später auch Eritrea, Tschad, Uganda, Zaire (Demokratische
Republik Kongo) und der Zentralafrikanischen Republik. Die unwegsamen Grenzgebiete vor
allem im Südsudan waren ideale Rückzugsorte für ausländische Widerstandsgruppen. Das
Regime in Khartoum gewährte ihnen Zuflucht und erhoffte sich davon die andauernde
Destabilisierung der Nachbarstaaten sowie Unterstützung bei der Bekämpfung der
südsudanesischen Widerstandskämpfer. Natürlich verfuhren die Nachbarstaaten ähnlich.
Kleine Chance auf Frieden
Aufgrund veränderter politischer Rahmenbedingungen könnte eine dauerhafte Befriedung des
Sudans möglich werden. Seit 1994 bemühten sich Vertreter afrikanischer Staaten im Rahmen
der IGAD (Intergovernmental Agency on Development) sowie internationale Vermittler um eine
Lösung. Im Juli 2002 wurde ein erster wichtiger Durchbruch erzielt. Präsident Omar
Hassan al-Bashir erklärte sich bereit, die Südsudanesischen Befreiungsarmee und
-bewegung (SPLA/M) an der Regierung zu beteiligen und nicht in die politische
Administration in den Südprovinzen einzugreifen. Für das Jahr 2008 wurde ein Referendum
in den Südprovinzen in Aussicht gestellt. Außerdem wurde vereinbart, die Anfang der
1980er im Sudan eingeführte Scharia nur im Norden anzuwenden. Für den vorwiegend
christlich-animistischen Südsudan war dies und die Zusicherung der Religionsfreiheit eine
Vorbedingung.
Eine Annäherung der beiden größten Konfliktparteien würde einen gewaltigen
Fortschritt für die Lebensbedingungen im Südsudan bedeuten. Doch noch sitzen die Wunden
und das Misstrauen tief. Die organisierte Verschleppung und Versklavung von Nicht-Moslems
in den Norden, die Aushungerung ganzer Landstriche und die "Politik der verbrannten
Erde" durch regimetreue Milizen können im Südsudan nicht über Nacht vergessen
werden. Anfang 2004 konnte erneut beobachtet werden, wie schnell eine Eskalation der
Konflikte in Nord-Uganda und im Osten des Tschad ihre Kreise im Sudan zieht.
Streit über Ressourcen
Ein zentrales Problem bleibt nach wie vor auch die Kontrolle über die Erdölvorkommen,
vor allem der Provinz Western Upper Nile. Sie sind die größte einzelne
Deviseneinnahmequelle des Sudans. Dort finden die intensivsten Kämpfe statt. Noch ist das
Regime nicht bereit, die von den internationalen Vermittlern vorgeschlagene
50:50-Aufteilung zu akzeptieren.
Hinzu kommt der vielleicht größte ungelöste Problemkomplex: die prekäre
Nahrungsmittelversorgung und die Bodennutzungsrechte. In den nördlichen Provinzen und
entlang des Nils wurden die arabischen Nomaden durch die mechanisierte Landwirtschaft
vertrieben. Das Regime rekrutierte aus ihnen die Milizen und bot ihnen das Land
südsudanesischer Bauern an. Die SPLA/M wiederum bewaffnete die Bauern. Vor allem dort wo
Wüste und Steppe auf fruchtbare Hügel und Wald treffen, ist daraus längst ein
"Jeder gegen Jeden" geworden. Der seit 1996 eskalierende Konflikt in den
Regionen Darfur und Bahr-el-Ghazal verdeutlicht diese Brisanz. Der in Darfur gerät jetzt
ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS.
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