Der Tornado – ein deutscher Nuklearwaffenträger
von Otfried Nassauer
Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich seit Jahrzehnten an der
Nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO. Sie hat dem Bündnis nach
bislang zugesagt, bis zu 46 Kampfflugzeuge vom Typ Tornado als
Trägersysteme in abgestufter Bereitschaft für den Einsatz
nuklearer Waffen zur Verfügung zu stellen.[ 1
] Diese Zusage wurde zuletzt im Kontext des NATO-Gipfels von Chicago
2011 indirekt erneuert, als die Allianz beschloss, die seitens der USA
in Europa stationierten rund 180 nuklearen Bomben der Modelle B61-3 und
B61-4 bis auf Weiteres beizubehalten.[ 2 ]
Flugzeug und Bewaffnung
Der Tornado ist ein zweimotoriger, zweisitziger
allwetterfähiger Jagdbomber mit Schwenkflügeltechnik, der
für den Tiefflug optimiert wurde. Der Gefechtsradiums mit
standardisierter Beladung und einem ebensolchen Flugprofil beträgt
etwa 1.350 Kilometer.[ 3 ]
Bei 14 Tonnen Leergewicht kann das Flugzeug auch mit einem
Gesamtgewicht von mehr als 28 Tonnen noch abheben, also großen
Mengen an Munition und Treibstoff mitführen. In
größeren Höhen erreicht der Tornado mehr als doppelte
Schallgeschwindigkeit, im Tiefflug oder in Meereshöhe ist er zwar
deutlich langsamer, aber immer noch deutlich schneller als der Schall.
Der Tornado verfügt über ein Geländefolgeradar, mit
Hilfe dessen das Flugzug auch noch in 60 Meter Höhe per Autopilot
fliegen kann. Im Tiefstflug, also bei Flügen in
"Baumwipfelhöhe", rund 30 Metern oder weniger über dem
Erdboden, muss der Pilot auch im Tornado selbst zum Steuerknüppel
greifen.[ 4 ]
Die Besatzung besteht aus einem Piloten und einem
Waffensystemoffizier. Neben Luftabwehrraketen zum Selbstschutz gibt es
eine Vielzahl von Bewaffnungsoptionen. Dazu gehören bei der
Bundeswehr ungelenkte und gelenkte Bomben, lasergelenkte
Präzisionswaffen, konventionelle Marschflugkörper
großer Reichweite vom Typ Taurus, HARM-Raketen zur
Bekämpfung von Flugabwehrstellungen am Boden, Kormoran-Raketen zur
Bekämpfung von Schiffzielen und die 27mm-Bordkanonen.[ 5
] Zudem kann das Flugzeug nukleare Bomben vom Typ B61-3 und B61-4
tragen, die den USA gehören und eine maximale Sprengkraft von 170
bzw. 50 Kilotonnen haben.
Tornados bei der Bundeswehr
Die Luftwaffe und die Marine wurden in den Jahren
1981/82-1992 mit insgesamt 357 Exemplaren des Tornados beliefert. Die
wichtigste und zahlenmäßig stärkste Variante war der
Tornado IDS (Interdiction – Strike). Diese ist für die
Aufgaben Seezielbekämpfung, Luftnahunterstützung, Abriegelung
und für nukleare Angriffsmissionen vorgesehen. Vier Luftwaffen-
und zwei Marinefliegergeschwader wurden ursprünglich mit dieser
Version ausgestattet. Zusätzlich wurden später je ein
Geschwader mit einer Variante zur optischen Aufklärung (Tornado
IDS/RECCE) und einer Variante zur Bekämpfung der
bodengestützten Luftverteidigung des Gegners (Tornado ECR)
ausgerüstet.[ 6 ]
Eine Ausbildungskomponente, die dauerhaft in den USA auf der Holloman
AirForce Base stationiert ist, ergänzt diese Geschwader. Drei der
Tornado-IDS Geschwader (Büchel, Nörvenich und Memmingen)
erfüllten nach Ende des Kalten Krieges zunächst auch nukleare
Aufgaben.
Inzwischen wurde bzw. wird die Zahl der Tornado-Geschwader
schrittweise reduziert. Bereits 1993 wurde das Marinefliegergeschwader
1 in Jagel aufgelöst. Zwischen 2003 und 2005 wurden die Geschwader
in Memmingen, Jever und Eggebek aufgegeben, derzeit wird das Geschwader
in Nörvenich umgerüstet und das in Lagerlechfeld soll bis
2017 aufgelöst werden. Alle verbliebenen Tornados gehören
mittlerweile zur Luftwaffe. Zudem sank die Zahl der Geschwader mit
ständiger nuklearer Aufgabe von drei auf eins: Das
Jagdbombergeschwader 33 in Büchel.
In der jüngeren Vergangenheit unterhielt die Luftwaffe
von ihren ursprünglich 357 Tornados noch 185 Flugzeuge.[ 7
] Jetzt wird der Bestand auf 85 Flugzeuge reduziert. Die Luftwaffe will
insgesamt 65 IDS-Versionen und 20 der jüngeren ECR-Tornados weiter
im Dienst halten. 25 Luftfahrzeuge sollen künftig beim
Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“ eine fliegende
Staffel für die bemannte fliegende Aufklärung bilden, die
zudem die Aufgaben „Unterdrückung der gegnerischen
Luftverteidigung“ und „Seezielbekämpfung“
übernimmt. 14 Luftfahrzeuge verbleiben zur Ausbildung auf der
Holloman AirForce Base in den USA. Die restlichen 44 Tornados werden in
zwei Staffeln beim Jagdbombergeschwader 33 in Büchel zum Einsatz
kommen und dort mit den Aufgaben Luftnahunterstützung,
Luft-Boden-Angriff und nukleare Teilhabe betraut. So steht es im
„Realisierungsplan für die Einnahme der
Luftwaffenstruktur“ aus dem Juni 2012. Dort heißt es
darüber hinaus: „Das JaboG 33 am St[and]O[rt] Büchel
wird zum 01.04.2013 umgegliedert und nimmt mit zwei Fliegenden Staffeln
seinen Auftrag (Nukleare Teilhabe/ konventioneller Luftangriff) mit
ungelenkter Bewaffnung, Präzisionsbewaffnung (GBU-24, GBU 54) und
Abstandsbewaffnung (MAW TAURUS) wahr. Zum 01.10.2013 wird das JaboG 33
in Takt[isches] L[uft]w[affen]G[eschwader] 33 umbenannt.“[ 8 ]
In Büchel stehen für die deutschen Tornados auch
weiterhin nach Freigabe durch den US-Präsidenten US-Nuklearwaffen
der Typen B61-3 und B61-4 zur Verfügung, die nach derzeitiger
Planung ab 2020 durch eine neue, deutlich verbesserte Version, die
B61-12, abgelöst werden sollen. [ 9 ]
Die Nutzungsdauer des Tornados
Da die NATO beschlossen hat, die Daueraufgabe Nukleare
Teilhabe vorläufig beizubehalten, stellt sich die Frage, wie lange
der Tornado noch in Dienst gehalten werden kann. Die Antwort auf diese
Frage ist ein „bewegliches Ziel“.
2008 antwortete die Bundesregierung auf eine große
Anfrage der Grünen: „Die Bundeswehr plant das
Waffensystem TORNADO zumindest bis 2020 im Dienst zu behalten.“[ 10
] Dass „zumindest bis“ auch „über hinaus“
heißen kann, bestätigte ein Sprecher des
Verteidigungsministeriums am 6. Oktober 2010: „Die Nutzung des
Waffensystems Tornado ist über das Jahr 2020 hinaus vorgesehen.
Der Zeitpunkt der endgültigen Außerdienststellung ist noch
nicht festgelegt.“[ 11 ] Im Oktober 2011 begann dieses Spiel mit Worten und Jahreszahlen erneut: „Das Waffensystem Tornado wird bis voraussichtlich 2025
in den Einsatzrollen Luftangriff mit Schwerpunkt
Luftnahunterstützung, luftgestützte bemannte Aufklärung,
Niederhalten der gegnerischen bodengebundenen Luftverteidigung,
Seekriegführung aus der Luft und als Trägerplattform für
die Nukleare Teilhabe eingesetzt. (...) Derzeit gibt es keine
Überlegungen, das Waffensystem Tornado über 2025 hinaus zu
betreiben“, schrieb das Verteidigungsministerium.[ 12
] Ein Jahr später erläuterte BMVg-Sprecher Christian Dienst
am 3.9.2012 in der Regierungspressekonferenz: „Also es ist so,
dass das Waffensystem Tornado, das auch - ich betone: auch - die Rolle
hat, als nuklearwaffenfähiges Trägersystem zu fungieren (...)
nach jetziger Planung über das Jahr 2025 hinaus in der Bundeswehr
in Nutzung zu halten sein wird - egal mit wie vielen“ der ihm
zugedachten Rollen.[ 13
] Schließlich bestätigte auch die politische Führung
des BMVg’s diese Planung. Der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt antwortete am 26.September 2012
auf Fragen des Abgeordneten Paul Schäfer: „Als Träger
der nuklearen Teilhabe ist das Waffensystem Tornado in der Version
Interdiction-Strike (IDS) geeignet. (...) Die Nutzung des Waffensystems
Tornado ist in reduzierter Stückzahl über das Jahr 2025 hinaus geplant.“[ 14
] Es fehlte lediglich die erneute Feststellung: Der Zeitpunkt der
endgültigen Außerdienststellung ist noch nicht festgelegt.
Es bleibt also offen, wie viele Jahre der Tornado nach 2025 noch
genutzt werden kann und soll. (Hervorhebungen durch den Autor.)
Dass die Restlebensdauer der Tornado-Flugzeuge dehnbar ist,
hat einen guten Grund: Die Luftwaffe kann die Nutzungsdauer des
Tornados selbst steuern. Zelle und Triebwerk haben eine garantierte
Mindestlebensdauer von 8.000 respektive 7.500 Flugstunden, die bei
weitem noch nicht erreicht ist. Erst 2011 überschritt der erste,
29 Jahre alte Tornado 5.000 Flugstunden. Es war eine
überdurchschnittlich viel geflogene Ausbildungsmaschine.
Steuerungsmöglichkeiten bieten sich der Luftwaffe z.B.,
wenn Flugzeuge zur endgültigen Aussonderung vorgesehen sind oder
nicht mehr modernisiert werden sollen. Sie können dann
häufiger genutzt werden, während andere Flugzeuge, die
modernisiert und weiter in Dienst bleiben sollen, geschont werden und
somit eine längere Lebensdauer bekommen können. Hält man
zudem mehr Flugzeuge in Dienst als unbedingt nötig und fliegt sie
wenig, so dehnt sich die maximale Nutzungsdauer der Tornadoflotte
ebenfalls weiter aus. Das gleiche geschieht, wenn den Piloten z.B. aus
Kostengründen weniger Flugstunden pro Jahr zugebilligt werden. Von
2012-2017 will die Luftwaffe ihre Tornadoflotte pro Jahr insgesamt
für rund 11.500 bis 13.310 Flugstunden nutzen. Somit entfallen auf
jedes Flugzeug durchschnittlich rechnerisch zwischen 135 und 157
Flugstunden pro Jahr. Bei einer so geringen jährlichen Nutzung
kommt das Jahr 2030 schnell in Reichweite, selbst 2035 könnten
theoretisch noch immer Tornados fliegen.[ 15 ]
Eine deutlich über diese Zeiträume hinausgehende
Verlängerung der Nutzungsdauer des Tornados wäre theoretisch
– aber zu sehr hohen Kosten – möglich, wenn ein
Programm zu einer erneuten Verlängerung der Lebensdauer von Zelle
und Triebwerk aufgelegt werden würde. Ein solches Programm
enthält die derzeitige Bundeswehrplanung nicht.
Die Tornado-Modernisierung
Derzeit werden die 85 Tornado-Flugzeuge, die die Bundeswehr
in Dienst halten will, mit einem Gesamtaufwand von rund 900 Mio. €
bis 2017 erneut modernisiert. Ein solcher Aufwand lohnt nur, wenn der
Tornado über 2025 hinaus genutzt werden soll. Das Programm mit der
Bezeichnung „Avionic System Software for Tornado in Ada 3“
(ASSTA 3) dient u.a. einer Verbesserung der Kommunikationssysteme, der
Kampfwerterhaltung der Störsysteme, der Verbesserung der
Nachsichtfähigkeit und der Cockpit-Displays sowie der Integration
der lasergesteuerten allwetterfähigen Bombe vom Typ GBU-54(V)3
(LJDAM) zur Bekämpfung beweglicher Ziele. Die ersten dieser
modernisierten Tornados bekam die Luftwaffe am 15.8.2012.[ 16
] Maßnahmen, die spezifisch der Integration der modernisierten
Nuklearwaffe vom Typ B61-12 dienen, sind in diesem Programm bislang
nicht enthalten und derzeit auch nicht geplant.[ 17
] Ein weiteres Upgrade des Tornados mit der Bezeichnung ASSTA 3.1 ist
für die Zeit ab 2018 bei der Industrie in Vorbereitung, aber
derzeit noch nicht vertraglich gebunden. Auch die Industrie hat also
den Nutzungszeitraum nach 2025 bereits im Blick. Auch in diesem
Vorhaben ist die Integration der B61-12 bislang – soweit bekannt
– derzeit noch nicht enthalten.[ 18 ]
Im Zuge der Einführung der B61-12 müssen die
deutschen Tornado-Flugzeuge wahrscheinlich an die neue Waffe angepasst
und zumindest mit einer neuen Interface Control Unit – einem
Verbindungsmodul zwischen Bombe und Flugzeug - ausgestattet werden. Es
muss sichergestellt werden, dass das ältere Flugzeug mit der
neuen, vollständig digitalisierten Bombe kompatibel ist und
über eine entsprechende Software verfügt. Beides muss
wahrscheinlich in den USA entwickelt werden, wer die Kosten trägt,
ist derzeit noch nicht endgültig klar.
Nachtrag:
Am 18. August 2018 wies das BMVg das Bundesamt für Ausrüstung
und Informationesen der Bundeswehr (BAAINBw) an, die Nutzungsdauer des
Tornados bis zum Jahr 2035 auszuplanen und erst danach die Ausphasung
des Waffensysrtemns vorzusehen. Die Annahme dieses Beitrags, dass die
Nutzungsplanung für den Tornado es erlaubt, die Luftfahrzeuge bis
2035 oder länger zu nutzen, erwies sich damit als richtig.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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