Juni 2011
Rosa Luxemburg Paper


Der Abrüstungsmodernisierer - Nuklearpolitik unter Barack Obama

von Otfried Nassauer


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Inhaltsverzeichnis:

1 Veränderungen in der deklaratorischen Nuklearpolitik der USA
2 Atomare Rüstungskontrolle unter Barack Obama
2.1 Der neue START-Vertrag
2.2 Der Teststoppvertrag, der FMCT und die Nichtverbreitung
3 Die Zukunft des Nuklearpotentials der USA
4 Obamas Nuklearpolitik – Auswirkungen auf die NATO und Europa
5 Zwei Jahre Obama - Eine Zwischenbilanz


 

4. Obamas Nuklearpolitik – Auswirkungen auf die NATO und Europa

Die USA sind zweifellos der politisch dominante NATO-Partner und stellen zugleich das Gros der nuklearen Fähigkeiten des Bündnisses.[ 26 ] Der NPR bildet deshalb einen Rahmen, innerhalb dessen die anderen NATO-Mitglieder Überlegungen zur künftigen Rolle nuklearer Waffen in der NATO anstellen konnten und können. Die Nuklearstrategie des Bündnisses kann zwar von der nationalen Nuklearstrategie Washingtons punktuell abweichen, darf diese aber nicht konterkarieren. Auch Großbritannien und Frankreich leiten aus ihrem Atomwaffenbesitz einen ähnlichen Anspruch ab.

Für die NATO waren vor allem die Aussagen zur Reduzierung der Rolle nuklearer Waffen und die Änderungen im Bereich der negativen Sicherheitsgarantie bedeutsam. Mit ihnen reduzierte die Obama-Administration die teils starke inhaltliche Spannung, die sich während der Präsidentschaft George W. Bushs zwischen der nationalen Nuklearstrategie der USA und den Aussagen der NATO-Strategie zur Rolle nuklearer Waffen aufgetan hatte. Obamas Ansatz korrespondiert wesentlich besser mit der Rolle nuklearer Waffen in der deklaratorischen Politik der NATO. Das Strategische Konzept der NATO aus dem Jahr 1999[ 27 ] erachtete die „ Präsenz konventioneller und nuklearer Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Europa“ als „lebenswichtig für die Sicherheit Europas“ und beschrieb die Rolle nuklearer Waffen als weitgehend politische: „Der grundlegende Zweck der nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner ist politischer Art: Wahrung des Friedens und Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg. Nukleare Streitkräfte werden weiterhin eine wesentliche Rolle spielen, indem sie dafür sorgen, dass ein Angreifer im Ungewissen darüber bleibt, wie die Bündnispartner auf einen militärischen Angriff reagieren würden. Sie machen deutlich, dass ein Angriff jeglicher Art keine vernünftige Option ist.“ Obwohl die „Umstände, unter denen ein Einsatz von Nuklearwaffen von ihnen in Betracht zu ziehen wäre,“ in „äußerste Ferne“ gerückt und die Allianz ihre Atomwaffen nicht mehr gegen einen bestimmten Gegner richte, werde „die NATO angemessene, in Europa stationierte substrategische Nuklearstreitkräfte auf dem niedrigsten, mit der jeweils herrschenden Sicherheitslage zu vereinbarenden Niveau beibehalten“, da diese „ein wesentliches Bindeglied zu den strategischen Nuklearstreitkräften darstellen (...) und so die transatlantische Bindung stärken.“

Relevant waren für NATO-Staaten aber auch die Aussagen zu den Europa betreffenden nuklearen Modernisierungsvorhaben (s.o.). Mit den Entscheidungen sowohl die Trägerflugzeuge als auch die nuklearen Bomben zu modernisieren sei sichergestellt – so der NPR – dass „die USA die Fähigkeit beibehalten, Nuklearwaffen in Erfüllung ihrer Bündnisverpflichtungen vorgeschoben zu stationieren“. Dies „nimmt die Ergebnisse künftiger Entscheidungen in der NATO über die Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung und der nuklearen Teilhabe nicht vorweg“, sondern halte „alle Optionen offen“. Die Modernisierung von Trägerflugzeugen und nuklearen Bomben durch die USA erfolge unabhängig davon, wie die NATO künftig entscheide. Washington stelle seinen Alliierten einen „glaubwürdigen U.S.-Nuklearschirm“ bereit, der aus den „strategischen Kräften der Triade[ 28 ], vorgeschoben-stationierten Nuklearwaffen in Schlüsselregionen und Nuklearwaffen in den USA besteht, die schnell vorgeschoben stationiert werden können“. Auch wenn die Gefahr eines nuklearen Angriffs sich auf „einem historischen Tiefstand“ befinde, trage „die Präsenz von U.S.-Nuklearwaffen in Verbindung mit den einzigartigen Arrangements der nuklearen Teilhabe (...) zum Zusammenhalt der Allianz bei“ und stelle „eine Rückversicherung für Verbündete und Partner dar, die sich regionalen Bedrohungen ausgesetzt fühlen.“ Änderungen sollen nur nach Diskussion in und „auf Entscheidung der Allianz“ erfolgen. Dies erfordert Einstimmigkeit und gibt den europäischen NATO-Mitgliedern die Möglichkeit, einen Abzug der substrategischen Nuklearwaffen aus Europa durch ihr Veto zu verhindern.

Hierin fanden sich vor allem jene NATO-Mitglieder wieder, die in der Präsenz U.S.-amerikanischer Nuklearwaffen auf europäischem Boden einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit des Allianzterritoriums vor Russland, zur Aufrechterhaltung der Abschreckung und ein wesentliches transatlantisches Bindeglied sehen. Für sie ist die nukleare Teilhabe einerseits ein Instrument, dass Mitsprachemöglichkeiten in Nuklearfragen eröffnet, auch wenn solche Waffen aufgrund verbindlicher Zusagen an Russland nicht auf dem Territorium der neuen Mitglieder stationiert werden dürfen. Andererseits werden in dieser Sichtweise die alten Mitglieder, auf deren Staatsgebiet solche Waffen lagern, stärker in die Verpflichtungen aus Art V des NATO-Vertrages eingebunden.

Einige neue Mitglieder waren deshalb in großer Sorge, als fünf NATO-Außenminister den Generalsekretär baten, die Zukunft der substrategischen Nuklearwaffen in Europa auf die Tagesordnung des informellen Außenministertreffens im April 2010 in Tallin zu setzten. Diese hatten daran erinnert, dass U.S.-Präsident Obama die Vision einer atomwaffenfreien Welt befürwortet und versprochen hatte, sich um „eine verringerte Rolle atomarer Waffen“ zu bemühen. Man wolle das NATO-Treffen zu „einer umfassenden Diskussion“ nutzen: „Wir glauben, dass wir auch in der NATO diskutieren sollten, was wir tun können, um uns diesem übergeordneten politischen Ziel anzunähern.“[ 29 ] Manche Mitglieder befürchteten deshalb im Vorfeld der Entscheidungen zur neuen NATO-Strategie eine Debatte über den Abzug der substrategischen Waffen. Dafür hatte sich der deutschen Außenminister Guido Westerwelle bereits öffentlich stark gemacht.[ 30 ] Der Bundestag hatte einen solchen Schritt in einer Resolution einhellig begrüßt.[ 31 ]

Während des Treffens in Tallin beruhigte Hillary Clinton, Obamas Außenministerin, die besorgten Mitglieder, indem sie während eines Essens fünf Prinzipien vorstellte, auf denen die Nuklearpolitik der Allianz künftig beruhen solle.

„Erstens: Wir sollten anerkennen, dass die NATO eine nukleare Allianz bleibt so lange Nuklearwaffen existieren.“

Zweitens, für ein nukleares Bündnis ist es fundamental, die nuklearen Risiken und Verantwortlichkeiten breit zu teilen.

Drittens: Unser umfassenderes Ziel ist es die Rolle nuklearer Waffen und deren Zahl weiter zu reduzieren. (...).

Viertens: Die Verbündeten müssen die Abschreckung gegen das Spektrum der Bedrohungen des 21. Jahrhunderts verbreitern. Das schließt das Verfolgen einer territorialen Raketenabwehr, die Durchführung von Artikel 5-Ausbildung und Manövern und das Aufstellen von Eventualfallplänen mit ein, um neuen Bedrohungen des Bündnisses entgegenzuwirken.

Und fünftens: „Bei allen künftigen Reduzierungen sollte es unser Ziel sein, Russlands Zustimmung zu einer größeren Transparenz bei nichtstrategischen Nuklearwaffen, eine Redislozierung dieser Waffen weg von den Grenzen der NATO-Staaten und zur Einbeziehung nicht-strategischer Nuklearwaffen in die nächste Runde amerikanisch-russischer Rüstungskontrolldiskussionen zu erreichen, zusammen mit den nicht-stationierten strategischen Nuklearwaffen.“ [ 32 ]

Clintons Vorgängerin, Madeleine Albright, und die von ihr geleitete Expertengruppe der NATO überreichten Generalsekretär Anders Fogh Rassmussen am 17. Mai 2010 Vorschläge für das neue Strategische Konzept der Allianz, in denen sie sich als Fürsprecher des Verbleibs der substrategischen Atomwaffen der NATO präsentierten. Auch die Expertengruppe hielt fest, die NATO werde eine „atomare Allianz bleiben, solange es Nuklearwaffen gibt“ und empfahl explizit, „unter den gegenwärtigen Sicherheitsbedingungen die Beibehaltung von einigen vorne-stationierten U.S.-Systemen auf europäischem Boden“, da sie „das Prinzip der erweiterten Abschreckung und der kollektiven Verteidigung stärken“.[ 33 ]

Die in Lissabon verabschiedete neue NATO-Strategie des Jahres 2010 folgt weitgehend dieser Linie. Schon in der zusammenfassenden Einleitung verpflichtet sich die NATO „die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen – bekräftigt aber zugleich, dass die NATO ein nukleares Bündnis bleiben wird, solange es Kernwaffen in der Welt gibt.“[ 34 ] Die NATO werde weiterhin Nuklearwaffen zur Abschreckung bereit halten: „Die Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten bleibt ein Kernelement unserer Gesamtstrategie. Umstände, unter denen der Einsatz von Kernwaffen in Betracht gezogen werden müsste, sind höchst unwahrscheinlich.“ Dabei seien die strategischen nuklearen Kräfte des Bündnisses“ der „oberste Garant“ für die Sicherheit der Bündnispartner. Die substrategischen Nuklearwaffen werden nicht mehr explizit, sondern nur noch indirekt erwähnt, wenn das Konzept von der Notwendigkeit spricht „die möglichst umfassende Beteiligung der Bündnispartner an der kollektiven Verteidigungsplanung mit Bezug auf deren nukleare Anteile, an der Stationierung von nuklearen Kräften in Friedenszeiten und an Führungs-, Kontroll- und Konsultationsverfahren [zu] gewährleisten“. Im Kommunique des Gipfels heißt es ergänzend, die NATO werde dafür Sorge tragen, dass sie „über das gesamte Spektrum der Fähigkeiten verfügt, die zur Abschreckung und Verteidigung“ notwendig sind. „Zu diesem Zweck wird die NATO eine geeignete Mischung aus konventionellen, nuklearen und Raketenabwehrkräften beibehalten. Die Raketenabwehr wird ein fester Bestandteil unseres gesamten Verteidigungsdispositivs werden. Unser Ziel ist es, die Abschreckung als Kernelement unserer kollektiven Verteidigung zu verstärken und zur unteilbaren Sicherheit des Bündnisses beizutragen.“[ 35 ]

Bis 2012 will die Allianz nun eine Überprüfung ihres Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs durchführen. Zu dem „wesentlichen Elementen der Überprüfung würden die Palette der erforderlichen strategischen Fähigkeiten der NATO, einschließlich des nuklearen Dispositivs der NATO, die Raketenabwehr und andere Mittel der strategischen Abschreckung und Verteidigung gehören. Dies gilt nur für Kernwaffen, die der NATO zugewiesen sind“, heißt es im Kommunique des Lissabonner Gipfels[ 36 ]. Damit steht eine sehr breit und sehr komplex angelegte Überprüfung bevor. Es besteht die Gefahr, dass sie in zwei Jahren in einem Dokument ohne klaren Fokus und ohne klare Aussagen endet. Riskant ist das vor allem in zwei hier interessierenden Bereichen: Zum einen im Blick auf die Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und zum anderen im Blick auf die Einführung eines Raketenabwehrelementes in das regionale Abschreckungsdispositiv der NATO.

Betrachten wir zuerst die Risiken im Bereich der nuklearen Abrüstung. Dieser will die NATO künftig wieder mehr Gewicht einräumen. Doch die Voraussetzungen dafür sind nicht gut. Zum einen steht Frankreich diesem Vorsatz grundsätzlich skeptisch gegenüber, weil es hinter dieser Zielsetzung die Option ungebührlicher Einflussnahme auf die französische Nuklearpolitik vermutet. Zu anderen – und für die hier diskutierten Zusammenhänge wesentlicher – ist erneut der bündnisinterne Streit um die Zukunft der U.S.-Nuklearwaffen in Europa ein wesentliches Hindernis. So lange wie sich die NATO-Mitglieder nicht einigen können, ob sie auf die substrategischen Nuklearwaffen in Europa verzichten oder diese modernisieren wollen, ist die Gefahr groß, dass keine ernsthafte Debatte über künftige Notwendigkeit und Rolle dieser Systeme entsteht. Die Versuchung ist groß, sich rasch auf einen Formelkompromiss zu einigen und den „schwarzen Peter“ schnell an Russland weiterzureichen. Das ist bereits im Ansatz erkennbar, wenn die Zukunft der in Europa stationierten Nuklearwaffen immer wieder an die russische Bereitschaft geknüpft wird, das zahlenmäßig größere Potential taktischer Nuklearwaffen[ 37 ] Moskaus ebenfalls zu Disposition zu stellen.

Bleiben diese Widersprüche in der NATO noch über einen längeren Zeitraum virulent, so läge es in der Logik dieses Vorgehens, wenn die NATO letztlich einen neuen „Doppelbeschluss“ fassen würde, weil sie intern keinen Konsens herstellen kann. Dieser würde in etwa folgendes besagen: „Stellt Moskau seine taktischen Nuklearwaffen zur Disposition, so kann auch die NATO auf die Nuklearwaffen der USA in Europa verzichten. Tut es das nicht, so bleibt der NATO keine andere Wahl, als diese zu modernisieren.“ Dies wäre zwar eine starke Reminiszenz an Zeiten des Kalten Krieges, läge aber durchaus im Bereich des akzeptablen für jene NATO-Mitglieder, die Russland skeptisch gegenüberstehen. Anderen NATO-Staaten könnte es schwer fallen, sich der Aussicht auf eine mögliche Gegenleistung Moskaus für den Abzug der in Europa stationierten Waffen der USA zu entziehen.

Damit würde die Zukunft dieser Waffen weiter in der Schwebe gehalten und von der Bereitschaft Russlands zu Zugeständnissen bei seinen taktischen Nuklearwaffen, abhängig gemacht. Würde Russland nicht einlenken, so müssten die NATO-Länder, die einen Verzicht auf die U.S.-Nuklearwaffen in Europa für möglich halten, nolens volens deren Modernisierung mittragen, um die Solidarität und den Zusammenhalt der NATO nicht zu gefährden.

Hinzu kommt: Das U.S.-Außenministerium hat wiederholt deutlich gemacht, dass Verhandlungen über einen Folgevertrag für den neuen START-Vertrag auch substrategische und nicht-stationierte Nuklearwaffen zum Gegenstand haben sollten. Damit würden weitere Fortschritte bei der strategisch-nuklearen Abrüstung mit der nuklearen Abrüstung in Europa zeitlich und inhaltlich verknüpft bzw. voneinander abhängig. Das birgt das Risiko großer Verzögerungen oder gar des völligen Scheiterns in beiden Bereichen mit sich.

Die Forderung, erstmals atomare Waffen und nicht nur die Trägersysteme für solche Waffen zum Vertragsgegenstand zu machen, zwänge die Unterhändler, komplexes rüstungskontrollpolitisches und verifikationstechnisches Neuland zu betreten. Alle bisherigen Verhandlungen und Verträge hatten große, weithin sichtbare Trägersysteme zum Gegenstand. Deren Vorhandensein oder Zerstörung ist auch mit nationalen technischen Möglichkeiten wie Satelliten vergleichsweise leicht zu überprüfen. Soweit diese Verträge Obergrenzen für nukleare Waffen festlegten, handelte es sich um rechnerische Grenzen. Bislang gab es keine erfolgreichen Gespräche über einen Rüstungskontrollvertrag, der Begrenzungen für nukleare Gefechtsköpfe oder Bomben zum Gegenstand gehabt hätte. Auch über Verifikationsmechanismen für die Begrenzung, Außerdienststellung und Delaborierung nuklearer Waffen wurde bislang noch nie erfolgreich verhandelt.[ 38 ] Die Einbeziehung solch komplexer Aufgabenstellungen schon in die nächste Runde von Gesprächen über nukleare Abrüstung könnte weitere nukleare Abrüstungsschritte um Jahre verzögern und damit auch Fortschritte im Bereich der Nichtverbreitung unterbinden.[ 39 ]

Anlass zur Hoffnung, dass diese Haltung Washingtons korrigiert wurde, gibt allerdings die Selbstverpflichtung Barack Obamas gegenüber dem U.S.-Senat anlässlich der Ratifizierung des Neuen START-Vertrages am 2.2.2011: “Die Vereinigten Staaten werden spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Neuen START-Vertrages – nach Konsultationen in der NATO – versuchen, Verhandlungen mit Russischen Föderation über eine Übereinkunft zu initiieren, die sich mit der Disparität zwischen dem substrategischen (taktischen) Nuklearwaffenpotential der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten befassen und darauf zielen, die taktischen Nuklearwaffen in verifizierbarer Art und Weise zu sichern und zu reduzieren.“[ 40 ]

Diese Selbstverpflichtung klingt weich, hat aber als Bestandteil der Ratifizierungsgesetzgebung einen großen Stellenwert und eine hohe Verbindlichkeit. Zugleich schufen der US-Präsident und der US-Senat, der eine solche Verpflichtung gefordert hatte, damit die Möglichkeit, die unglückliche Verkopplung zwischen Gesprächen über nicht-stationierte strategische und taktische Nuklearwaffen wieder zu entkoppeln. Binnen eines Jahres sollen Gespräche über taktische Nuklearwaffen mit Moskau aufgenommen werden.

Die angekündigten Konsultationen in der NATO werden auch die anderen NATO-Staaten zwingen, sich noch in diesem Jahr erneut mit den substrategischen Nuklearwaffen zu befassen. Sie müssen ihre Washington ihre Erwartungshaltungen an die künftigen Verhandlungen, ihre Vorstellungen von der Bandbreite der Verhandlungsmöglichkeiten und ihre Wünsche an das potentielle Ergebnis der bilateralen Gespräche zwischen Washington und Moskau vermitteln. Dies muss parallel zu der begonnenen Überprüfung des Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs geschehen, sodass beide Prozesse sich gegenseitig beeinflussen werden und zumindest eine Chance entsteht, das während des NATO-Gipfels in Lissabon verabredete künftig wieder stärkere rüstungskontrollpolitische Engagement der NATO mit Leben zu füllen.

Da Russland bislang Verhandlungen über taktische Nuklearwaffen ablehnt, solange die USA solche Waffen auf dem Territorium anderer Länder lagert, muss auch diese Hürde nun in Kürze angegangen werden. Wenn der politische Wille dazu vorhanden ist, kann dies genutzt werden, um die beschriebene verhängnisvolle Logik, die in einem neuen Doppelbeschluss enden würde, wieder aufzulösen. Dazu müssten die Entscheidungen der NATO über die Zukunft der Stationierung taktischer Nuklearwaffen in Europa und über die Zukunft der technisch-nuklearen Teilhabe voneinander entkoppelt werden. Würden die NATO-Staaten es Washington im Konsens ermöglichen, seine substrategischen atomaren Waffen aus Europa vorläufig abzuziehen, um einen Einstieg in erfolgversprechende Verhandlungen mit Russland zu ermöglichen, so könnte die Entscheidung über die Zukunft der technisch-nuklearen Teilhabe später in einem zweiten Schritt und im Lichte der Verhandlungsergebnisse gefällt werden. Bis zu dieser endgültigen Entscheidung würden alle Instrumente der technisch-nuklearen Teilhabe in einen „Caretaker-Status“ versetzt, der ihre Reaktivierung im Bedarfs- und Beschlussfall ermöglicht.[ 41 ]

Der zweite Problembereich der Diskussionen über die Überprüfung des Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs der NATO impliziert Chancen und Risiken zugleich: Vordergründig geht es um die Rolle und die Zukunft einer künftigen NATO-Raketenabwehr im Dispositiv der NATO. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Aufbau einer Raketenabwehr und der Möglichkeit, dass die Allianz künftig auf substrategische Nuklearwaffen verzichten kann oder gibt es diesen nicht? Kann die NATO um so leichter auf ihr substrategisches Potential verzichten, je besser das Territorium der Allianzmitglieder vor Raketenangriffen geschützt ist? Oder würde sie an substrategische Nuklearwaffen auch dann festhalten, wenn es ein Raketenabwehrelement in der Abschreckung der Allianz gib?

Hinter diesen Fragen lauern komplexe abschreckungslogische und -politische Grundfragen. Der NPR der USA überträgt – wie geschildert – das Denken in den Kategorien des unter George W. Bush entwickelten neuen strategischen Abschreckungssystems erstmals auf „regionale Abschreckungssysteme“, also auch auf Europa und die NATO. Damit kann eine Möglichkeit in die Abschreckungslogik zurückkehren, gegen die sich europäische Politiker wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in den siebziger und achtziger Jahren heftig gewehrt haben: Die theoretische Möglichkeit eines „nur“ regionalen Versagens der Abschreckung, also eines regional begrenzten Nuklearkrieges. Schmidt wollte diese Option möglichst unterbinden. Der UdSSR und den USA sollte klar sein: Jeder Nuklearkrieg wäre ein globaler, der auch das Kernland der beiden Supermächte nicht verschonen würde. Eine solche Konstellation wäre die politischste und glaubwürdigste Form der Abschreckung.

Das Problem, ob ein regionales Versagen der Abschreckung denkbar oder weitestgehend ausgeschlossen ist, bleibt im Kern für die NATO virulent, so lange Nuklearwaffen Teil der Abschreckung in Europa sind. Auch heute und unter den Bedingungen einer künftigen Abschreckung, zu der auch Raketenabwehrsysteme gehören sollen , muss gefragt werden: Ist ein Abschreckungssystem stabiler, das kein ausschließlich regional begrenztes Versagen der Abschreckung zulässt oder eines, bei dem ein regional begrenzter Nuklearkrieg denkbar ist? Ist die Abschreckung glaubwürdiger, wenn sie ausschließlich durch die strategischen Potentiale der Nuklearmächte gewährleistet wird oder wenn außerdem ein substrategisches Potential der NATO existiert? In wieweit verändern sich das Bild und die Logik, wenn Raketenabwehrfähigkeiten des Bündnisses in die Kalkulation mit einbezogen werden? Und inwieweit ändern sie sich, wenn der abzuschreckende Gegner nicht nur Russland sondern auch ein anderes Land sein könnte? Natürlich können diese Fragen hier nicht abschließend diskutiert und beantwortet werden. Es sind aber wichtige Fragestellungen für die Überprüfung des Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs der NATO. Sie stellen für diesen Prozess Chance und Risiko zugleich dar, da offensichtlich niemand die Antworten bereits kennt oder hinlänglich über sie nachgedacht hätte. Werden sie gestellt, so können die Antworten dazu beitragen, dass die NATO zu einem Konsens über ihr künftiges nukleares Potential findet. Werden sie nicht ausdiskutiert, so läuft die künftige Abschreckung der NATO Gefahr, weniger verlässlich und kriegsverhindernd zu wirken als jene während des Kalten Krieges.[ 42 ]

 

5. Zwei Jahre Obama - Eine Zwischenbilanz

Etwas mehr als zwei Jahre heißt der U.S.-Präsident nun Barack Obama. Als Antipode zu seinem ungeliebten Vorgänger George W. Bush, als Hoffnungsträger und als Visionär wurde er begrüßt. Mit seiner Prager Rede wurde er den Erwartungen zunächst gerecht. Blickt man zurück und würdigt die Ergebnisse seiner Politik in den vergangenen zwei Jahre, so zeigt sich jedoch ein differenziertes und problematischeres Bild. Barack Obama ist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die er in Prag geweckt hat. Auch wenn man ihm zugute hält, dass mancher intendierte Schritt an innen- und außenpolitischen Widerständen scheitern musste, weil es an der notwendigen Kooperationsbereitschaft anderer mangelte – im Kern hat Barak Obama in der Nuklearpolitik sehr viel Kontinuität und wenig – meist klimatischen - Wandel vorzuweisen. Dies findet seine Ursachen im Wesentlichen in der Politik Washingtons und in den immanenten Widersprüchen der Nuklearpolitik Obamas selbst. Unter ungünstigen Voraussetzungen führen einige der Weichen, die seine Administration gestellt hat, sogar auf gefährliche Gleise.

Die positiven Aspekte zuerst: Obama hat die deklaratorische Nuklearpolitik der USA neu und klarer formuliert, die Rolle nuklearer Waffen in der Strategie der USA deutlicher beschrieben und viele der Ambiguitäten in der Nuklearpolitik seines Vorgängers George W. Bush eliminiert. Zudem hat er sich klar zu der rechtlichen Verpflichtung der Nuklearmächte aus dem NVV bekannt, in Zukunft auf ihre nuklearen Arsenale zu verzichten. Das ist sein Verdienst. Entsprechende Änderungen in der Militärstrategie, der Ziel- und Operationsplanung oder gar der nuklearen Rüstungspolitik sind jedoch bislang unterblieben. Hier dominiert die Kontinuität zu seinem Vorgänger George W. Bush. Solange dies so bleibt, sind die Veränderungen in der deklaratorischen Politik reversibel – allzu leicht reversibel. Mit den militärischen Fähigkeiten, die unter Obama im nuklearen Bereich durch eine umfassende Modernisierung entwickelt werden, kann ein künftiger Präsident jederzeit auch wieder eine deutliche Ausweitung der Rolle nuklearer Waffen vornehmen oder gar die Schwelle für einen Nuklearwaffeneinsatz wieder absenken.

Über dieses skeptische Urteil kann auch die Ratifizierung des neuen START-Vertrag nicht hinwegtäuschen. Dieser Vertrag beinhaltet nur kleine Abrüstungsschritte; er stellt eine pragmatisch minimalistische Lösung dar. Dass Obama mit ihm zu einer Politik der vertraglich vereinbarten Rüstungskontrolle zurückkehrt, ist der positive Aspekt. Allerdings ist die Perspektive weiterer nuklearer Abrüstungsschritte deutlich eingetrübt. Einen weiteren START-Vertrag – ursprünglich als der größere Wurf nach dem schnellen, kleinen Schritt des neuen START-Vertrages angedacht – wird es möglicherweise so schnell nicht geben. Selbst Teile der Regierung Obamas haben versucht, indirekt neue Hürden aufzubauen, z.B. als das Außenministerium die Position vertrat, Verhandlungen über einen solchen Vertrag sollten sowohl substrategische als auch nicht stationierte Nuklearwaffen umfassen. Eine solche Verkopplung könnte weitere Abrüstungsschritte auf absehbare Zeit blockieren, weil sie zuviel auf einmal auf die Agenda setzt.

Obamas Modernisierungsplanung für das U.S.-Nuklearwaffenpotential steht in einem so deutlichem Widerspruch zu den Veränderungen im deklaratorischen Bereich, dass sie das Gesamtbild seiner Politik prägt und deren Glaubwürdigkeit infragestellt. Sie umfasst das gesamte nukleare Sprengkopfpotential, alle Trägersysteme und signalisiert ein Festhalten der USA an ihren Nuklearwaffen bis weit in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts. Die Modernisierungspläne führen zu deutlichen Ausgabensteigerungen - selbst im Vergleich zu der nuklearfreundlichen Administration George W. Bushs. Damit steht sie in einem deutlichem Gegensatz zu der Vision einer nuklearwaffenfreien Welt und zeigt das Festhalten an einer Nuklearpolitik auf, die auf Dominanz, überlegene Fähigkeiten und die eigene Stärke setzt. Auswirkungen negativer Art sind vorhersehbar:

  • Die Politik der Regierung Obamas wird keine andere Nuklearmacht politisch ermutigen, Modernisierungspläne für ihr Nuklearwaffenpotential in der Hoffnung auf weitere Abrüstungsschritte zurückhaltend zu handhaben. China, das im nuklearen Bereich bislang sehr vorsichtig und zurückhaltend agiert hat, könnte sich sogar veranlasst sehen, die bisher praktizierte Zurückhaltung aufzugeben.
  • Länder, die bereits ein begrenztes nukleares Arsenal haben, werden keinen Anlass sehen, den von Ihnen beschrittenen Weg infrage zu stellen. Sie werden sich vielmehr bestätigt sehen.
  • Nicht-nukleare Länder, die mit dem Gedanken an ein eigenes Nuklearwaffenpotential spielen, werden in dieser Politik wenig aktive Anreize finden, sich von ihrer Idee abzuwenden.
  • Die Ausgangslage für weitere Abrüstungsschritte dürfte sich verschlechtern; damit verringert sich aber auch wahrscheinlich die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, schärfere Nichtverbreitungsregeln einzuführen.

Obamas Modernisierungspolitik unterminiert allerdings nicht nur die Glaubwürdigkeit seiner Vision einer nuklearwaffenfreien Welt, sondern vor allem auch seine vorgeblich wichtigste Zielsetzung: Der Verhinderung der weiteren nuklearen Proliferation.

Die Obama-Administration betrachtet zwar den Nuklear-Terrorismus, die Gefahr einer Proliferation an nicht-staatliche Akteure und an weitere nicht-nukleare Staaten als größte Bedrohungen für die Zukunft. Deshalb möchte sie die Nichtverbreitungspolitik und die Stärkung des NVV-Regimes zu ihrer Priorität machen. Das aber würde – soll es glaubwürdig wirken – deutlich stärkere Signale der eigenen atomaren Abrüstungsbereitschaft und eine freiwillige Selbstbeschränkung im Bereich der nuklearen Modernisierung auf Seiten der USA erfordern. Da solche Signale weitgehend fehlen, leidet die Glaubwürdigkeit Obamas auch im Bereich der Nichtverbreitungspolitik.[ 43 ] Die nuklearen Modernisierungspläne der USA werden vielmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit eines der entscheidenden Hindernisse bei der effektiven Bekämpfung der Proliferationsgefahren sein, weil sie keine ausreichend konkrete Bereitschaft zu umfassender nuklearer Abrüstung erkennen. Damit unterminieren sie den politischen Willen anderer Staaten, verschärfte Nichtverbreitungsregeln zu akzeptieren und das NVV-Regime zu stärken.



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[ 1 ] The Whitehouse: Remarks by President Barack Obama, Prague, 5 April 2009, http://www.whitehouse.gov/the_press_office/Remarks-By-President-Barack-Obama-In-Prague-As-Delivered Alle Verweise auf Quellen im Internet wurden zuletzt am 28.2.2011 geprüft.

[ 2 ] Ebd.

[ 3 ] Department of Defense: The Nuclear Posture Review Report, Washington DC, April 2010, vgl.: http://www.defense.gov/npr/docs/2010%20Nuclear%20Posture%20Review%20Report.pdf

[ 4 ] Teile der folgenden Analyse fußen auf: Otfried Nassauer: Die nukleare Zukunft der NATO, in: Erhard Crome (Hrsg): Persepktiven für eine sichere Welt, Berlin, 2010, S.25-60; und: ders.: Die NATO und der nukleare „Schirm“, BITS-Research Note 10-1 /IPPNW Akzente, Berlin, Oktober 2010

[ 5 ] In der Diskussion über die Rolle nuklearer Waffen hat sich dafür der Begriff „last resort“ eingebürgert.

[ 6 ] Im internationalen Sprachgebrauch wird der Atomwaffensperrvertrag als Nichtverbreitungsvertrag (NVV) bezeichnet.

[ 7 ] Für den Fall eines technologischen Durchbruchs im Blick auf die Einsetzbarkeit und Wirksamkeit biologischer Kampfstoffe behält sich die Regierung Obama im NPR eine Rückkehr zur bisherigen Politik vor.

[ 8 ] Im Vergleich zur Amtszeit Clintons wird ein bedeutsamer Positionswechsel sichtbar. Unter Clinton wurde im Rahmen der sog. „Counterproliferation Policy“ die bis dahin deutliche Unterscheidung zwischen atomaren, biologischen und chemischen Waffen aufgeweicht und in vielen Fällen verallgemeinernd von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen gesprochen. Diese sachlich nicht gerechtfertigte Diktion fand später auch Eingang in die Nuklearstrategie der USA. Obama zeigt sich bemüht, diese Entwicklung rückgängig zu machen.

[ 9 ] A.a.O.: http://www.whitehouse.gov/the-press-office/remarks-president-barack-obama-prague-delivered

[ 10 ] Der neue START-Vertrag kann eingesehen werden unter: http://www.state.gov/documents/organization/140035.pdf Das zugehörige Protokoll findet sich unter: http://www.state.gov/documents/organization/140047.pdf

[ 11 ] Der SORT-Vertrag verpflichtet beide Staaten, bis 2012 auf je 1.700 – 2.200 Sprengköpfe abzurüsten. Legt man die untere Obergrenze von 1.700 Sprengköpfen zugrunde, so haben die USA eine nominelle Abrüstungsverpflichtung von 150, Russland eine solche von 500 Sprengköpfen.

[ 12 ] Hans M. Kristensen und Robert S. Norris: U.S. Nuclear Forces 2011, in: Bulletin of Atomic Scientists, March/April 2011, S.66ff.

[ 13 ] Hans M. Kristensen und Robert S. Norris: Russian Nuclear Forces 2010, in: Bulletin of Atomic Scientists, January 2010, S.76f.

[ 14 ] Zwei der 14 Raketen-U-Boote der USA befinden sich jeweils in Überholung. Damit können zu jedem Zeitpunkt 48 bzw. künftig 40 Trägersysteme aus dem aktiven Bestand der USA herausgerechnet werden.

[ 15 ] Die teilunabhängige Behörde gehört zum Department of Energy und ist führt für das DoE alle Programme durch, die mit Nuklearwaffen zu tun haben.

[ 16 ] Es muss also noch entschieden werden, ob weitere Interkontinentalraketen und/oder weitere Bomber aus dem aktiven Potential herausgenommen werden.

[ 17 ] Vgl.: http://www.senate.gov/~armed_services/statemnt/2010/03%20March/Johnson%2003-17-10.pdf

[ 18 ] Alternativ wäre eine Reduzierung der Zahl der ICBMs möglich.

[ 19 ]   Vgl.: Hans M. Kristensen: The Nuclear Weapons Modernization Budget, 25.2.2011 http://www.fas.org/blog/ssp/2011/02/nuclearbudget.php  und Kristensen/Norris a.a.O.

[ 20 ] Kristensen / Norris a.a.0.

[ 21 ] Department of Defense: Ballistic Missile Defense Review Report, Washington DC, February 2010, http://www.defense.gov/bmdr/docs/BMDR%20as%20of%2026JAN10%200630_for%20web.pdf

[ 22 ] An diesem Programm beteiligen sich mit Italien, den Niederlanden und der Türkei drei der fünf Länder, die in der NATO nuklearfähige Trägerflugzeuge für die technisch-nukleare Teilhabe bereitstellen haben. Die Rolle der Türkei in diesem Zusammenhang ist derzeit nicht klar. Die endgültige Entscheidung zur Entwicklung einer nuklearfähigen Variante dieses Flugzeugs ist bislang nicht getroffen worden. Ebenso ist noch unklar, welche europäischen NATO-Staaten es letztlich beschaffen werden. Der Haushaltsentwurf des Pentagons für 2012 sieht dafür erstmals Mittel vor.

[ 23 ] Ausgenommen von der Modernisierung bleiben die Modelle B-61 Modell 11, der sogenannte Earth Penetrator, der nur in sehr geringer Stückzahl gebaut wurde und nun auch das Modell B-61-10, das kürzlich aus dem Bestand genommen wurde. Bei dieser Bombenversion handelt es sich um ehemalige Pershing-II-Sprengköpfe, die zu Bomben umgebaut wurden.

[ 24 ] Vgl.: http://www.lasg.org/B61-reprog_req.pdf Im Deutschen gibt es nicht immer übliche Begriffe für die Komponenten nuklearer Waffen; derhalben stehen in den Klammern Erklärungen des Autors.

[ 25 ] Eines dieser drei weichen Kriterien zu erfüllen oder als erfüllt zu behaupten, dürfte nicht schwer fallen. Telefonische Auskunft von Thomas d’Agostino, Leiter der NNSA, gegenüber dem Autor am 6.4.2010.

[ 26 ] Weitere Überlegungen des Autors zur Zukunft der nuklearen Komponente in der NATO finden sich hier: Otfried Nassauer: Die NATO und der nukleare „Schirm“, BITS-Research Note 10-1 /IPPNW Akzente, Berlin, Oktober 2010, vgl.: http://www.bits.de/public/pdf/nuklearer-schirm-nato.pdf

[ 27 ] NATO: Das Strategische Konzept des Bündnisses, Washington DC, 24 April 1999, vgl. http://www.nato.int/docu/pr/1999/p99-065d.htm

[ 28 ] Gemeint ist hier die alte strategische Triade aus Interkontinentalraketen, strategischen Bombern und auf U-Booten stationierten Langstreckenraketen.

[ 29 ] Vgl.: http://www.regjeringen.no/upload/UD/Vedlegg/Sikkerhetspol/Nato/Letter%20to%20Secretary%20General%20NATO.pdf

[ 30 ] Hinter den Kulissen hatte allerdings der Sicherheitsberater in Merkels Kanzleramt, Christoph Heusgens, den USA bereits im November 2009 das Signal gegeben, dass das Kanzleramt nicht hinter Westerwelles Vorstoß stehe. Im Koalitionsvertrag stehe dies nur, weil Westerwelle es erzwungen habe. In einem Wikileaks-Kabel vom 12.11.2009 (09BERLIN1433) heißt es: “HEUSGEN distanced the Chancellery from the proposal, claiming that this had been forced upon them by FM Westerwelle. HEUSGEN said that from his perspective, it made no sense to unilaterally withdraw "the 20" tactical nuclear weapons still in Germany while Russia maintains "thousands" of them. It would only be worth it if both sides drew down.” Zugleich signalisierte Heusgens damit, das die Bundesregierung eine Kopplung des Abzug an Zugeständnisse Russlands bei taktischen Nuklearwaffen mittragen werde. Vgl.: http://213.251.145.96/cable/2009/11/09BERLIN1433.html

[ 31 ] Deutscher Bundestag, DS 17/1159, vgl.: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/011/1701159.pdf

[ 32 ] NN.: Secretary of State Hillary Rodham Clinton Excerpts from Remarks at NATO Working Dinner on Nuclear Issues and Missile Defense, Tallin, Estonia, April 22, 2010, MS 2 Seiten

[ 33 ] NATO: NATO 2020: Assured Security; Dynamic Engagement, Brussels, 17 May 2010, Vgl.: http://www.nato.int/strategic-concept/expertsreport.pdf  Da drei der fünf anerkannten Nuklearmächte Mitglieder der NATO sind und auch mit ihren strategischen Nuklearwaffen zur Nuklearabschreckung beitragen, ist die Aussage, die Allianz werde eine nukleare bleiben, solange es Nuklearwaffen gebe, nicht ganz so überraschend wie es auf den ersten Blick scheint.

[ 34 ] NATO: Aktives Engagement, Moderne Verteidigung – Strategisches Konzept für die Verteidigung und Sicherheit der Mitglieder der NATO, Lissabon, 2010, Vgl.: http://www.nato.diplo.de/contentblob/2978550/Daten/971427/strat_Konzept_Lisboa_DLD.pdf

[ 35 ] Vgl.: http://www.nato.diplo.de/contentblob/2978542/Daten/966698/NATO_Gipfel_Erkl_DLD.pdf

[ 36 ] Die Einschränkung auf die „Kernwaffen, die der NATO zugewiesen sind“ dürfte einerseits auf Frankreich zurückgehen, das der NATO keine Einflussmöglichkeiten auf seine nationale Nuklearpolitik geben will. Andererseits dürfte sie auch den Interessen der USA und Großbritanniens entsprechen, deren Nuklearpotential ja auch außerhalb des NATO-Kontextes Aufgaben erfüllen kann.

[ 37 ] Auffällig in der westlichen Terminologie ist, dass die nicht-strategischen Nuklearwaffen der USA in Europa konsequent als substrategische Waffen bezeichnet werden, während die nicht-strategischen Nuklearwaffen Russlands konsequent als taktische bezeichnet werden. Diese Unterscheidung soll die Behauptung stützen, dass den Waffen des Westens eine politisch-abschreckende, den Waffen Russlands aber eine militärisch-kriegführende Funktion zukommt. Dies ist seit der Neufassung der russischen Militärdoktrin 2010 problematisch. Denn dort heißt es: „Die RF behält sich das Recht vor, als Antwort auf einen gegen sie und (oder) ihre Verbündeten erfolgten Einsatz von Kernwaffen oder anderen Arten von Massenvernichtungswaffen, ihrerseits Kernwaffen einzusetzen. Das gilt auch für den Fall einer Aggression mit konventionellen Waffen gegen die RF, bei der die Existenz des Staates selbst in Gefahr gerät.“ Die früher in diesem Dokument enthaltene Aussage, dass die taktischen Nuklearwaffen Russlands ein Gegengewicht zur Überlegenheit westlicher konventioneller Potentiale darstellen, ist in der Neufassung nicht mehr enthalten. Dresdner Studiengruppe Sicherheitspolitik: Militärdoktrin der Russischen Föderation, übersetzt durch Rainer Böhme, Egbert Lemcke und Frank Preiß, Heft 99, Dresden, 2010, S.18

[ 38 ] Der Zeitbedarf und die absehbaren Schwierigkeiten bei der Bearbeitung solchen Neulandes dürften George H.W. Bush, Michael Gorbatschow und Boris Jelzin bereits Anfang der 1990er Jahre mit dazu veranlasst haben, die ersten großen Abrüstungsschritte im Bereich der taktischen bzw. substrategischen Nuklearwaffen auf Basis politisch verbindlicher einseitig gegenseitiger Abrüstungsschritte vorzunehmen, den sogenannten Presidential Nuclear Initiatives (PNIs). Mittels dieser Initiativen wurden nach Ende des Kalten Krieges auf beiden Seiten sehr schnell etliche Tausend nukleare Sprengköpfe aus dem aktiven Dienst entfernt und später schrittweise delaboriert.

[ 39 ] Im Überprüfungsprozess zum Nichtverbreitungsvertrag sind Fortschritte bei den Regeln zur Nichtverbreitung faktisch seit vielen Jahren an Fortschritte im Bereich der nuklearen Abrüstung gekoppelt.

[ 40 ] Im Original heißt es: The United States will seek to initiate, following consultation with NATO Allies but not later than 1 year after the entry into force of the New START Treaty, negotiations with the Russian Federation on an agreement to address the disparity between the non-strategic (tactical) nuclear weapons stockpiles of the Russian Federation and of the United States and to secure and reduce tactical nuclear weapons in a verifiable manner.” Vgl. http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2011/02/02/message-president-new-start-treaty-0

[ 41 ] In einem solchen Caretaker-Status befinden sich schon heute einige früher nuklear genutzte Basen der NATO, so zum Beispiel in Nörvenich. Dort wurden die atomaren Waffen und die für sie zuständigen US-Soldaten vor mehr als zehn Jahren abgezogen, die technischen Einrichtungen zur Lagerung atomarer Waffen aber nicht abgebaut. Die nuklearen Aufgaben des Geschwaders können bei Bedarf reaktiviert werden.
Dieser Weg umgeht zudem eines der größten Probleme der NATO, die französische Ablehnung eines Abzug der taktischen Nuklearwaffen der NATO. Die notwendigen Entscheidungen würden in der Nuklearen Planungsgruppe anstehen, in der Frankreich nicht mitwirkt. Diese kann sowohl darüber entscheiden, dass Washington in bilateralen Gesprächen mit Russland nach einer Lösung suchen soll als auch darüber, zur Unterstützung der Erfolgsaussichten solcher Gespräche eine vorläufige Aussetzung der Stationierung in Europa vorzunehmen.

[ 42 ] Natürlich stellen sich diese Fragen nur immanent innerhalb der Abschreckungslogik. Da diese auch künftig eine wesentliche Grundlage der Politik der NATO bleiben soll, müssen sie jedoch aufgeworfen werden.

[ 43 ] Ein weiteres Problem in der Nuklearpolitik Obamas kann hier nur stichwortartig erwähnt werden. Obama befürwortet den Ausbau der zivilen Nutzung der Nukleartechnik und signalisiert die Bereitschaft, Staaten die diese Technologie nutzen wollen, dabei zu helfen, wenn sie sich an ihre Nichtverbreitungsverpflichtungen halten. Dies entspricht den Verpflichtungen der USA aus dem NVV, impliziert aber – nolens volens – auch zusätzliche Proliferationsrisiken.