24 Februar1996

Antipersonenminen bei der Bundeswehr - Ist ein Verzicht möglich?

Überlegungen anläßlich der Anhörung von terre des hommes am 29.2.1996 in Bonn

von Otfried Nassauer

 Die Bundeswehr verfügt zur Zeit über - im internationalen Vergleich - relativ wenige Antipersonenminen meist älteren Produktionsdatums; nach unseren Schätzungen handelt es sich um

  • höchstens 400.000 Springsplitterminen vom Typ DM-31, eine Weiterent­wicklung der S-Mine 35 aus Wehrmachtszeiten

  • sowie ca 33.000 Claymore-artige Splitterminen DM-51; dies sind von der NVA übernommene russische Minen des Typs MON-50.

Zwei weitere Sprengkörper im Bestand der Bundeswehr werden von einigen Quellen - so dem US-Verteidigungsministerium - als Antipersonenminen ge­wertet, nicht aber von der Bundeswehr selbst. Hier handelt es sich um

  • ca 100.000 Sprengkörper DM 39 und DM 39A; diese werden unter Panzer­abwehrminen vergraben, um diese zur Explosion zu bringen, wenn sie auf­gehoben und von Hand geräumt werden sowie um

  • ca 90.000 Submunitionen MUSPA für den Submunitionsdispenser MW-1 im Einsatz mit Tornado, eine Splittermunition, die zur Verwendung gegen leicht gepanzerte Fahrzeuge oder Flugzeuge gedacht ist, aber natürlich ge­gen Menschen ebenfalls sehr effektiv wirkt.

1,27 Millionen weitestgehend metallose Antipersonenminen vom Typ DM-11 AP wurden 1994 aus den Beständen der Bundeswehr herausgelöst und zur Delaborierung durch die schwedische Firma Bofors LIAB abgegeben.

Alle bei der Bundeswehr im Einsatz befindlichen Antipersonenminen erfüllen die heute geltenden ebenso wie die für die Zukunft diskutierten Regeln bezüg­lich der Zulässigkeit dieser Minen nach dem VN-Landminenprotokoll.

2. Die Bundeswehr betrachtet diese Antipersonenminen als "defensives, durch das Kriegsvölkerrecht erlaubtes und von der Mehrheit aller Staaten anerkann­tes Kampfmittel". Sie vertritt die Auffassung, daß sie auf Landminen "zum Schutz der eigenen Soldaten und als Sperrmittel <nicht> verzichten" kann, "solange keine geeigneten und humanen Alternativen entwickelt" sind. Anti­personenminen werden von der Bundeswehr u.a. benutzt, um gegnerische In­fanteriebewegungen zu behindern oder so zu lenken, daß diese besser be­kämpft werden können, gegnerische Einheiten zu dezimieren und so eigene Stellungen besser halten zu können und um die Räumung von Panzerminen­sperren zu erschweren. Zudem kommen sie beim Objektschutz militärischer und ziviler Objekte im eigenen Hinterland zum Einsatz.

Ein einseitiger Verzicht der Bundesrepublik auf Antipersonenminen - wie von Bundesaußenminister Kinkel angeregt - ist aus Sicht der Bundeswehr nicht wünschenswert bzw. realisierbar. Diese Minen sind "im Gefecht der verbun­denen Waffen" neben Panzerabwehrminen "integraler Bestandteil der Opera­tionsplanung".

3. Die Bedeutung von Antipersonenminen für die Einsatzkonzepte der Bun­deswehr nimmt dennoch kontinuierlich ab. Dies zeigt sich u.a. an den seit Ende des Kalten Krieges stark verringerten Lagerbeständen, am Alter der be­vorrateten Minen - sie stammen in der Mehrzahl aus den Jahren 1962-67 - und an der Tatsache, daß die Entwicklung und Beschaffung neuer Antipersonen­minen zur Zeit nicht mehr geplant ist.

Der Bedeutungsverlust herkömmlicher Antipersonenminen bei der Bundes­wehr ist verschiedenen Entwicklungen geschuldet, darunter:

a) Die Bundeswehr setzte Schützenminen lange Zeit ein, um die Räumung von Minenfelder aus einfachen Panzerabwehrminen zu erschweren. Modernisie­rungsmaßnahmen mach(t)en diese Verwendung der in den Beständen der Bundeswehr lagernden Minen zunehmend überflüssig bzw unmöglich:

  • Die meisten Panzerabwehrminen im Bestand der Bundeswehr haben heute bildlich gesprochen ihre eigene Antipersonenmine als Einbauteil. Sie verfü­gen über einen Räum- bzw Aufhebeschutz, sogenannte Anti-Lift- oder Anti-Handling Devices. Bei Räumversuchen explodieren die Minen. Die häufig­ste Panzerabwehrmine der Bundeswehr, die mechanisch und fernverlegbare AT-2 Mine, ist ebenso wie die mechanisch ausgebrachte Panzerabwehrver­legemine DM 31 gegen Räumversuche durch solche Einbauteile gesichert. Gegen Ende des Kalten Krieges galten beide Minen noch als hinreichend räumresistent.

  • Eine verbesserte Räumsicherheit für Minenfelder aus Panzerabwehrminen wird heute mit anderen Mitteln als Antipersonenminen angestrebt: Die Produktion von Panzerabwehrrichtminen für die Bundeswehr, die vor we­nigen Wochen begonnen hat, dient u.a. diesem Ziel. Auch die jüngst be­kannt gewordene rund 300 Mio DM teure Entwicklung einer technologisch hochentwickelten Flächenverteidigungsmine für den MARS-Werfer wird unter anderem damit begründet.

b) Minenfelder werden immer häufiger mechanisch und über große Entfer­nungen verlegt. Das spart Zeit und Personal, macht den Mineneinsatz aber auch an Orten möglich, an denen Pioniere nicht eingesetzt werden können, beispielsweise hinter den gegnerischen Linien. Dafür sind Panzerabwehrminen mit eingebautem Räumschutz hinlänglich. Pläne, eine fernverlegbare Antiper­sonenmine einzuführen, wurden aufgegeben. Das deutsche Heer verfügt über keine mechanisch oder fernverlegbaren Antipersonenminen und plant auch nicht mehr, solche anzuschaffen.

c) Für den Einsatz in modernen hochbeweglich geführten Operationen eignen sich zeitaufwendig von Hand zu verlegende Sperren nur sehr bedingt. Zudem könnten sie eigene künftige Bewegungen behindern, wenn die Wirksamkeit der Minen nicht zeitlich begrenzt ist. Die Mehrzahl der Antipersonenminen der Bundeswehr hat eine unbegrenzte Wirkungsdauer. Sie können lediglich von Hand verlegt werden.

All dies spricht für die Annahme, daß auch die Bundeswehr es schon heute für möglich hält, daß sie in einiger Zeit auf Antipersonenminen weitgehend oder ganz verzichten wird. Ein solcher Verzicht wird gegenwärtig - vermutlich aus prinzipiellen oder politischen Gründen - nicht ausgesprochen. Man will sich nicht einseitig der Möglichkeit begeben, Antipersonenminen zu besitzen und einzusetzen; man möchte nicht den Eindruck erwecken, man habe sich öffent­lichem Druck gebeugt.

4. Die Bundeswehr kann auf Antipersonenminen - auch kurzfristig - verzich­ten. Ein solcher Verzicht - andere westliche Staaten haben ihn bereits be­schlossen - hat lediglich geringe militärisch-taktische Nachteile zur Folge, die vor allem in zwei politisch-militärischen Szenarien zum Tragen kommen würden:

  • im Rahmen der Landes- oder Bündnisverteidigung bei einem Krieg gegen einen zahlenmäßig sehr starken oder gar deutlich überlegenen Gegner - ein gegenwärtig kaum wahrscheinlicher Fall - und

  • im Rahmen bestimmter Teil-Operationen im Kontext von Kampfeinsätzen außerhalb des NATO-Gebietes, z.B. im Rahmen der Anfangsoperationen eines Interventionseinsatzes (forced entry) - also im Rahmen politisch äu­ßerst umstrittener militärischer Einsatzformen.

Die politischen Vorteile eines Verzichtes auf Antipersonenminen würden allerdings diese begrenzten militärisch-taktischen Nachteile voraussichtlich weit mehr als aufwiegen. Die humanitären Vorteile eines Verbotes von Anti­personenminen wiegen diese per se auf. Die politische Signalwirkung, die von einem einseitigen Verzicht einer traditonellen Land- und Mittelmacht auf An­tipersonenminen ausgehen würde, darf nicht unterschätzt werden.

5. Wer lediglich über ein Verbot bzw einen Verzicht von Antipersonenminen diskutiert, greift zu kurz. Panzerabwehrminen und andere Minen sind eben­falls Bestandteil des weltweiten Landminenproblems. Panzerabwehrminen sind zumeist nicht in der Lage, ein gepanzertes Fahrzeug von einem Lastwa­gen oder von einem Bus zu unterscheiden. Für Peacekeeper und humanitäre Hilfsorganisationen im ehemaligen Jugoslawien macht es kaum einen Unter­schied, ob ihre Arbeit durch Antipersonenminen oder durch Panzerabwehr­minen tödlich bedroht ist. Wer die humanitäre Katastrophe, die durch Land­minen verursacht wird, wirklich beenden und nicht nur begrenzen will, der muß sich auf die Debatte über ein Verbot aller Landminen einlassen. Diese Debatte ist primär politischer, nicht aber militärisch-technischer Art.

6. Die unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit zustande gekom­menen Wiener und Genfer Verhandlungen über eine Verschärfung des Land­minenprotokolls im Rahmen des UN-Waffenübereinkommens greifen an exakt diesem Punkt zu kurz. Sie diskutieren unter dem Primat militärisch-technischer Fragestellungen, welche Landminen künftig erlaubt und welche verboten sein sollen. Sie motivieren, je eigene gute von den bösen fremden Minen propagandistisch zu unterschieden. Sie verstellen den Blick auf die hu­manitär dringend erforderliche politische Einigung und Entscheidung durch technische und definitorische Fragen: "Wieviel Gramm Metall muß eine Antipersonenmine künftig mindestens enthalten und wann beginnt künftig?" "Wie zuverlässig müssen die Selbstzerstörungs- oder Selbstneutralisierungsmechanismen von Minen sein - sollte künftig eine Fehlerquote von 1,5 oder 10% zulässig sein und wann beginnt künftig - in 10,15 oder 20 Jahren?" Sie verleiten so vom Ansatz her alle Teilnehmerstaaten, ihre eigenen Landminen und Landminentechnologien zu verteidigen - auf Kosten des Notwendigen und humanitär Gebotenen.

7. Gerade die Industriestaaten und mit ihnen die Bundesrepublik hätten - wenn nicht sie, wer sonst? - die Möglichkeit, aus dieser Logik auszubrechen, eine politische Lösung anzumahnen und ein völliges Verbot von Landminen aller Art in die Diskussion zu bringen.

8. Ein weltweites Verbot aller Landminen könnte sich als politisch, humanitär und militärisch nützlich erweisen. Einige kurze Überlegungen mögen genügen, um diese über meine Aufgabe hinausgehende These als bedenkenswert zu untermauern:

a) Der Landminen unterstellte taktische bzw taktisch-operative Nutzen basiert weitgehend auf Einsatzszenarien, in denen von massiven, beweglich geführten Operationen großer mechanisierter Verbände ausgegangen wird - Stichwort "NATO versus Warschauer Pakt". Solche Einsatzszenarien sind heute erfreulicherweise ziemlich unwahrscheinlich. Dagegen steht: Bei friedensunterstützenden Einsätzen haben Landminen aller Art das Potential, eine strategische Bedrohung darzustellen: Sie können die innenpolitische Legitimation z.B. einer Friedensmission untergraben - die Mission an der Heimatfront politisch infrage stellen.

Dies kann zu einem generellen Umdenken führen, ein solches ggf. sogar erzwingen. Ein Beispiel: Jahrzehnte begnügten militärische Planer sich für die Minenaufklärung und Minengassenräumung mit Zuverlässigkeitsraten, die unter den zivilen Zuverlässigkeitsforderungen für eine Flächenräumung lagen. Mittlerweile gibt es den militärischen Ruf nach Minendetektions- und -räum­gerät, daß auch zivilen Kriterien (99,7% Räumsicherheit) genügen könnte.

b) Die Sperr- und Mineneinsatzkonzepte der Bundeswehr und vieler anderer NATO-Staaten gleichen noch immer weitgehend jenen Vorstellungen, die im Kalten Krieg entwickelt wurden. Damit wird der militärische Nutzen gerade auch von Panzerabwehrminen fast zwangsläufig deutlich überbewertet. Welche Konflikte sind heute noch denkbar bzw. wahrscheinlich, in denen mit Tausenden von gepanzerten Fahrzeugen auf der Gegenseite zu rechnen ist? Welcher Gegner sollte in überwältigend überlegenen Zahlen wo angreifen?

Eine Neubewertung der militärischen Bedeutung von Landminen durch Indu­striestaaten und Völkerrecht kann zu einem Umdenken auch in vielen Staaten der Dritten Welt beitragen - deren militärische Vorstellungen kopieren und adaptieren oft mit zeitlichem Verzug jene Konzepte, die zuvor auf der Nord­halbkugel der Erde entwickelt wurden.

c) Es wird oft angenommen, daß viele weniger entwickelte Staaten ein generel­les Verbot von Landminen nicht mittragen würden und somit ein solches Verbot einer breiten, weltweiten Gültigkeit des Landminenprotokolls entge­genwirken könnte. Quod erat demonstrandum. Richtig ist, daß viele Staaten aus der Dritten Welt sich gegen ein einseitiges Verbot lediglich "ihrer" einfa­chen Landminen wehren. Ein Verbot aller Landminen, auch der High-Tech-Minen des Nordens, könnte durchaus nicht nur leichter zu verhandeln, son­dern auch einer breiten Akzeptanz dienlich sein.

Eine Neubewertung des militärischen Nutzens von Landminen - vorausgesetzt sie erfolgt unvoreingenommen und nicht lediglich auf Basis von Worst-Case-Szenarien - könnte zu der Schlußfolgerung kommen, daß der verbleibende militärische Restnutzen von Landminen aller Art den humanitären, wirt­schaftlichen, und politischen Schaden, den diese Waffengattung hervorruft, keinesfalls mehr aufwiegt. Ein völliges Verbot wäre dann im wohlverstande­nen Eigeninteresse aller Beteiligten.


[1]. Otfried Nassauer ist Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS). Diese Stellungnahme wurde als Anhörungs-Beitrag auch für UNICEF-Deutschland erarbeitet.  Für vertiefende Informationen siehe: Küchenmeister, Thomas und Nassauer, Otfried: Gute Mine zum Bösen Spiel - Landminen made in Germany, KOMZI-Verlag, Idstein, Dezember 1995, ISBN 3-929522-31-4