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09. November 2009


Schwere Geburt - Deutschland und der Atomwaffensperrvertrag

von Otfried Nassauer


CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag ein hehres Ziel vereinbart: Sie wollen sich im Zusammenhang mit der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages und der Ausarbeitung einer neuen NATO-Strategie 2010 „im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.“ „Unmittelbar in dieser Amtszeit“, so Außenminister Guido Westerwelle, aber ohne „einseitiges Handeln“, wie Kanzlerin Angela Merkel betonte.

20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und 40 Jahre nach der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages ist erstmals eine Bundesregierung bereit, über jeden Zweifel erhaben als nicht-nukleares Mitglied des Vertrages zu agieren. Sie will eine Praxis beenden, die seit jeher gegen den Geist, wenn nicht gegen den Buchstaben des Vertrages verstößt: Die technisch-nuklear Teilhabe, also die Bereitstellung deutscher Kampfflugzeuge und Piloten als Trägersystem amerikanischer Atomwaffen im Kriegsfall. Eine Praxis, deren Zulässigkeit die nichtpaktgebundenen Staaten, also die große Mehrheit der Vertragsstaaten, seit Jahren hinterfragt und die seit Jahren an der Glaubwürdigkeit westlichen Nichtverbreitungspolitik kratzt.

Nun also sollen die letzten zehn oder zwanzig Atomwaffen sollen aus Deutschland abgezogen werden. Die letzten von ehemals Tausenden. Doch warum erst jetzt, Jahre nachdem die USA die Waffen für ihre eigenen Kampfflugzeuge aus Deutschland abgezogen haben?

Die Bundesrepublik hatte sehr lange ein gespaltenes Verhältnis zu jenem Vertrag, der in Deutschland Atomwaffensperrvertrag heißt, international aber als nuklearer Nichtverbreitungsvertrag (NVV) bezeichnet wird. Schon der Unterschied im Namen signalisiert: Aus deutscher Sicht verwehrt er der Bundesrepublik etwas – atomare Waffen. Als er ausgehandelt wurde, formulierte die Bonner Republik massive Vorbedingungen: Sie setzte sich vehement dafür ein, dass den nicht-nuklearen Mitgliedern ein uneingeschränkter Zugang zur zivilen Nutzung der Atomtechnik garantiert wurde. Auch zu jenen Technologien, die den Zugriff auf die Rohstoffe für den Bombenbau ermöglichen, Urananreicherung und Wiederaufarbeitung. Zudem forderte sie nukleare Sicherheitsgarantien seitens der Nuklearmächte in der NATO, nukleare Mitsprache im Bündnis, also eine politische nukleare Teilhabe, und die Möglichkeit zu massiver, praktischer Mitwirkung, sollte die NATO je Nuklearwaffen einsetzten. Also die Beibehaltung technisch-nuklearen Teilhabe. Nur wer nuklear mitmache, so lautete das deutsche Credo, könne auch mitentscheiden.

Obwohl Bonn seine Forderungen weitgehend durchsetzen konnte, agierte es weiter zögerlich. Als der NVV am 1. Juli 1968 zur Unterzeichnung ausgelegt wurde, blieb die deutsche Unterschrift zunächst aus. Erst ein Jahr, fast fünf Monate unter den Kanzlerwechsel zu Willy Brandt später wurde er unterschrieben. Bis zur Hinterlegung der Ratifizierungsinstrumente gingen noch einmal fünfeinhalb Jahre ins Land. Erst drei Tage vor der ersten Überprüfungskonferenz, im Mai 1975, war es soweit. Bonn wollte seine Interessen als stimmberechtigtes Mitglied wahren. Der Vertrag selbst blieb jedoch auch in den Folgejahren ein eher ungeliebtes, teil sogar vernachlässigtes Kind.

Erst nach dem Ende des Kalten Krieges, der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und dem erneuten Verzicht auf Nuklearwaffen im 2+4-Vertrag setzte sich schrittweise die Auffassung durch, der NVV offeriere Deutschland mehr Chancen als dass er schaden könne. Peu a peu nahm die Bundesrepublik ihre Rolle als nicht-nukleare Mitglied positiv an und bemühte sich nun auch aktiv, den Vertrag in seinen beiden Kernelementen – nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung – zu stärken und weiter auszugestalten. Deutschland trat 1995 aktiv für eine unbegrenzte Verlängerung des bis dato auf 30 Jahre befristeten Vertrages ein. Seither gilt der NVV der deutschen Politik als Eckpfeiler der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung. Sakrosankt blieb jedoch weiterhin die technisch-nukleare Teilhabe. Forderungen, sie aufzugeben und so ein Signal zu setzen, dass auch eine regionale Mittelmacht ohne nukleare Einsatzmittel in Sicherheit leben könne, verhallten ungehört oder wurden zurückgewiesen.

Erst die Wiederbelebung der Vision einer nuklearwaffenfreien Welt durch U.S:-Präsident Obama und die von  ihm angeregte Resolution des UN-Sicherheitsrates, mit der sich alle etablierten Nuklearmächte erneut zu ihrer nuklearen Abrüstungsverpflichtung bekennen, gaben 2009 einen neuen Anstoß. Die Bundesregierung erklärt nun ihre Bereitschaft, auf die technisch-nukleare Teilhabe und die US-Nuklearwaffen bei der deutschen Luftwaffe zu verzichten.

Der Anstoß kommt gerade noch rechtzeitig, um konstruktiv auf die Überprüfung des NVV und die neue NATO-Strategie einwirken zu können. Allerdings muss er schnell umgesetzt werden. Schon die NATO-Ministertreffen im Dezember müssen erste Weichen stellen. Nur dann kann die Anregung in die künftige Nuklearplanung der USA, den im Februar 2010 fälligen Nuclear Posture Review, aufgenommen werden. Nur dann werden bereits anlaufende Planungen zur Modernisierung der Nuklearwaffen und der Trägersysteme in Europa überflüssig (B-61 Modell 12 und Joint Strike Fighter). Nötig sind schnelle Signale auch, damit sie die NVV-Überprüfungskonferenz im April 2010 noch positiv beeinflussen können. Abrüstungsbereitschaft kann helfen, eine Stärkung der Nichtverbreitungsregeln durchzusetzen. Die NATO tagt erst im Juni erneut.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS