25. Juli 2008


Büchel, Nörvenich, Ramstein
Wo lagern wirklich Atomwaffen in Deutschland?

von Otfried Nassauer

Ungewöhnliche Ereignisse machen ungewöhnliche Reaktionen erforderlich. Dieser Beitrag ist eine ungewöhnliche Reaktion. Am 16. Juli 2008 veröffentlichten die Neue Rheinische Zeitung und die Webseite www.arbeiterfotografie.de einen Beitrag von Anneliese Finkentscher und Bernd Neubauer, der folgende Hypothese aufstellt. „Aus den Veröffentlichungen von Juni 2008 ist zu entnehmen, dass es in Deutschland zumindest drei Orte gibt, die für die Lagerung von Atomwaffen in Betracht kommen. Ramstein (Pfalz), Büchel (Eifel), Nörvenich (NRW).“ „Die Veröffentlichungen“ sind tagesaktuelle Meldungen aus dem Juni 2008 von dpa, afp, focus-online und anderen Medien - meist aus dem Internet entnommen.

Gemeinsam war diesen Meldungen, dass sie – jeweils in dem ein oder anderen Punkt - scheinbar den Rechercheergebnissen widersprechen, zu denen Hans Kristensen (Federation of American Scientists, früher NRDC) und ich in den letzten Jahren gekommen sind. Mal, weil sie eine veraltete Faktenlage wiedergaben, mal weil sie fehlerhaft berichteten. Finketscher/Neubauer [ 1 ] insinuierten aufgrund der Medienmeldungen, BITS sei eine mit größter Skepsis zu betrachtende Quelle mit fragwürdigen Geldquellen wie der Ford- und der Heinrich Böll-Stiftung – Diskreditierungsversuchen, mit denen ich mich im Interesse der Sache und der Kürze hier nicht ausführlich auseinandersetzen will, weil die Anwürfe schlicht unter der Gürtellinie landen sollten.

Die Sachfrage lautet: Gibt es noch mehr als ein Nuklearwaffenlager in Deutschland? Sind möglicherweise doch noch nukleare Bomben in Nörvenich oder Ramstein gelagert? Wie stark ist die Quellenlage die dafür spricht, dass Atomwaffen nur noch in Büchel gelagert werden? Wie gut sind die Quellen, die für beide Positionen ins Feld geführt werden können?


1. Nörvenich

Der Nuklearwaffenstandort Nörvenich wurde spätestens 1997 als aktives Depot aufgelöst. So sagt es die US-Luftwaffe. Sie zog wahrscheinlich 1996, möglicherweise aber auch erst 1997 ihre Bewachungs- und Technikeinheit für Nuklearwaffen, die 604 MUNSS, aus Nörvenich ab (gleiches geschah in Memmingen) und listete den Standort hernach in einem freigegeben Dokument aus dem Dezember 1997 in einer Kategorie mit der Bezeichnung „Caretaker Status“. Dieser bedeutet, dass an einem Standort, an dem die nukleare Teilhabe mit anderen NATO-Staaten früher praktiziert wurde, keine Atomwaffen mehr gelagert werden. Technisch möglich aber wäre es, dort in einer Krise wieder Atomwaffen einzulagern und das zugehörige US-Personal erneut zu stationieren. Nörvenich war hernach ein inaktives Nuklearwaffenlager, in dem keine Atombomben mehr gelagert wurden.

Eine ganze Reihe von Argumenten und Fakten unterstützt diese Analyse:

a) Wenn es bei einem europäischen NATO-Geschwader keine MUNSS gibt, dürfen dort keine Atomwaffen gelagert werden. Es gibt keine US-Soldaten mehr, die die nationale Kontrolle der USA über diese Waffen sicherstellen. Wären trotzdem Atomwaffen in Nörvenich vorhanden, so befänden sie sich unter deutscher Kontrolle – ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag wie er kaum deutlicher sein könnte. Es gibt auch kein Wartungspersonal mehr, das im Falle technischer Probleme mit einer Waffe schnell eingreifen oder Routinearbeiten an den Waffen und ihren Lagerstätten durchführen könnte.

b) Die auf deutschen Fliegerhorsten mit Nuklearwaffen übliche, zusätzliche Sonderwacheinheit der deutschen Luftwaffe – die Luftwaffensicherungsstaffel „S“ – wie Sonderwaffen – wurde in Nörvenich ebenfalls aufgelöst und das Personal eingespart. Das ergibt sich aus der Personalstärke des Jagdbombergeschwaders, die deutlich geringer ist als in Büchel, und aus Listen des Verteidigungsministeriums über die Einheiten, die in Nörvenich stationiert sind. Gäbe es in Nörvenich noch Atomwaffen, so wäre der Fliegerhorst das am schlechtesten geschützte US-Atomwaffenlager auf der Welt. Als einzige Sicherheitstruppe gibt es nämlich die normale Luftwaffensicherungsstaffel der Bundeswehr, die die Außengrenzen des Fliegerhorstes bewacht - so wie auf allen nicht-nuklearen Fliegerhorsten.

c) Seit 1997 wurde keine Nuklearwaffen-Sicherheitsinspektion (NSI-Nuclear Surety Inspection) in Nörvenich mehr beobachtet – eine Pflichtübung für jeden aktiven Nuklearwaffenstandort.

US-Kollegen konnten 2004 oder 2005 ein Dokument aus dem Weißen Haus einsehen, aus dem hervorging, dass Präsident Clinton Ende 2000 die Lagerung von 130 Nuklearwaffen in Ramstein und 20 in Büchel autorisiert hatte (eine solche Autorisierung erlaubt Abweichungen von 10% nach oben und unten), aber keine für Nörvenich. Darüber berichteten sie 2005 in einem Forschungsbericht des Natural Resources Defense Councils.

Ursprünglich sollte schon 2007 der nicht-nuklearfähige Eurofighter die alten nuklearfähigen Tornado-IDS in Nörvenich ablösen. Wegen Lieferverzögerungen beim Eurofighter wurde der Beginn der Umrüstung auf Anfang 2009 verschoben. Danach stehen nicht einmal mehr theoretisch nuklearfähige Trägerflugzeuge in Nörvenich zur Verfügung.

Unklar ist zudem, ob es den „Caretaker Status“ heute noch gibt. Er ist seit etlichen Jahren in den öffentlich gewordenen, offiziellen Dokument nicht mehr aufgetaucht. In Nörvenich sind also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Atomwaffen mehr gelagert. Die 11 Lagermagazine (vaults) für atomare Bomben sind zwar physisch noch da, aber leer.


2. Ramstein

In Ramstein wurden nach Angaben aus Dokumenten der US-Luftwaffe und des US-Kongresses insgesamt 55 Vaults gebaut. Einer war für Übungszwecke reserviert. Für 54 Vaults hatte Clinton 130 Waffen (+/- 10%) autorisiert. Bis in das Jahr 2004 waren die Waffen noch da. Im Mai 2004 unterzeichnete Präsident Bush eine neue Autorisierung, deren konkreter Inhalt bis heute nicht verifiziert werden konnte. Das gilt auch für eine mögliche erneute Aktualisierung, die eigentlich 2008 erfolgen müsste oder bereits erfolgt ist.

Während der Diskussion über den NRDC-Report 2005 hörten Hans Kristensen in den USA und ich in Deutschland aus unterschiedlichen zuverlässigen Quellen, dass die Atomwaffen aus Ramstein abgezogen worden seien. Ein erfahrener Spiegel-Journalist, Alexander Szandar, ging der Sache weiter nach. Eine deutsche Quelle, die informiert sein musste, weil die „Gastnation“ nach den Vorschriften der USAFE über solche Transporte informiert werden muss, bestätigte die Information. Aus Sicherheitsgründen seien die Waffen wegen der umfangreichen Bauarbeiten in Ramstein (Übernahme der Aufgaben der Rhein-Main-Airbase) ausgeflogen worden. Der Spiegel veröffentlichte es. Unklar blieb, ob die Waffen 2004 oder 2005 abgezogen worden waren. Aus konsolidierten Daten von Flugzeugspottern konnten wir in den Folgejahren rekonstruieren, dass Ramstein 2004 ungewöhnlich oft Transport-Flugzeuge aus der 62. Airlift Wing zu Besuch hatte. Ein Teil dieser Einheit, die 4th Squadron, ist für alle Atomwaffentransporte als Prime Nuclear Airlift Force der US-Luftwaffe zuständig. Ein Artikel in der US-Militärpresse verriet zudem, dass für einen sehr großen, unfallfreien Atomwaffenabzug ein Orden an den zuständigen Kommandeur aus dieser Einheit verliehen worden war.

Da damals in den Haushaltsvorlagen des Pentagon für den US-Kongress noch Pläne für den Bau neuer Nuklearwaffeninfrastruktur in Ramstein enthalten waren und der Abzug angeblich wegen der Bauarbeiten erfolgte, nahmen wir an, dass die Waffen irgendwann zurückgebracht werden sollten.

Erst 2007 wurde klar, dass die US-Luftwaffe ihre Planungen möglicherweise gravierender verändert hatte und US-Präsident Bush möglicherweise schon im Mai 2004 anordnete, die Waffen in den USA zu belassen. In Vorschriften der US-Luftwaffe in Europa, die der Vorbereitung bevorstehender Pflichtinspektionen für Nuklearwaffensicherheit dienen, war Ramstein nicht mehr vertreten. Auch der Gegencheck bei finanzierten und geplanten Baumaßnahmen in Ramstein zeigte: Die früher vorgesehene, neue Infrastruktur für Atomwaffen(transporte) war mittlerweile gestrichen worden. Damit gab es zwei indirekte, aber deutliche Belege dafür, dass die Waffen endgültig abgezogen wurden. Ein drittes Indiz verstärkte den Eindruck: Waren früher in Ramstein einige C-130-Flugzeuge stationiert, die u.a. dem Transport nuklearer Waffen im Zuständigkeitsbereich von EUCOM dienten, so gab es seit 2004/5 keine Hinweise mehr dafür, dass diese Aufgabe noch besteht. Flugzeugspotter berichteten vielmehr von Besuchen von C-17-Flugzeugen aus der 62. AW auf Fliegerhorsten, die der nuklearen Teilhabe europäischer Staaten dienen. Indizien, dass die Nuklearwaffen nach Ramstein zurückgebracht worden wären, gab es dagegen nicht. Indizien dafür, dass Ramstein auch künftig nukleare Aufgaben erfüllen solle, gab es ebenfalls nicht. Die Nachricht, dass der Abzug aus Ramstein wahrscheinlich ein endgültiger sei, wurde veröffentlicht.

Mittlerweile liegen Neufassungen weiterer Dienstvorschriften der US-AirForce vor, die zeigen, dass ein solcher Schritt logisch wäre. Auf Fliegerhorsten, auf denen Atomwaffen lagern oder die „Atomwaffentransporter“ zu Besuch haben, gelten so viele zusätzliche Sicherheitsvorschriften, dass der Alltagsbetrieb einer logistischen Drehscheibe wie Ramstein empfindlich gestört werden würde.

Auch in Ramstein besteht weiterhin – soweit wir wissen – eine technische Infrastruktur, die die Lagerung atomarer Waffen theoretisch erlaubt. Ein aktives Atomwaffendepot ist der Standort aber nicht mehr.


3. Zur Quellenlage

Welche Quellen sagen anderes, untermauern die These, dass es noch drei Atomwaffenlager in Deutschland geben könnte? Die Autoren der arbeiterfotografie führen u.a. Meldungen von dpa, Focus-online, afp und anderen Medien an, deren Berichterstattung für jeden Fachkundigen offensichtlich fehlerhaft oder veraltet ist. Obwohl die Meldungen (ab 19/20. Juni 2008) meist auf einem Bericht von Hans Kristensen fußten, negierten sie, dass dieser Bericht vom 19.Juni neue Informationen über die Nuklearwaffenlagerung in Europa enthielt und davon ausging, dass sowohl Ramstein als auch das Depot in Lakenheath (UK) mittlerweile geräumt wurde. Damit wurde seit 2004 etwa die Hälfte aller US-Nuklearwaffen, die zuvor in Europa lagerten, in die USA zurückgebracht.

Die Richtigkeit der Medienmeldungen, mit denen die Autoren der Berichte in der NRhZ und bei arbeiterfotografie ihre Zweifel an den Analysen von BITS (und Hans Kristensen) untermauern und die sie darüber spekulieren lassen, ob die Friedensbewegung über einen „Informationskanal“ namens „Herrn Nassauer“ in die Irre geführt werden soll, hinterfragen die Autoren nicht im Geringsten. Sie stammen aus größeren Medien, denen die Autoren in einem anderen Text nachsagen, gewöhnlich einen hohen Anteil an „Desinformation“ zu enthalten. Als Sekundär- und Tertiärquellen haben sie ein deutlich geringeres Gewicht als die Primärquellen, auf denen die Überlegungen von Hans Kristensen und mir beruhen. Jeder Student lernt, dass Primärquellen ein höheres Gewicht haben als Sekundär- und Tertiärquellen. Schlecht und unter Missachtung ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht recherchiert haben die Autoren zudem: Sie haben bei den Autoren der Informationen, dass wohl nur noch in Büchel Atomwaffen lagern, nie nachgefragt, ob und wie wir die behaupteten Widersprüche erklären. Mehr noch. Sie haben es sogar versäumt, nachzuschauen, ob neue, aktuellere Informationen vorliegen. Sie diskutieren unseren Informationsstand aus dem Jahr 2007, während zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres Beitrags am 16.7. 2008 bereits seit Wochen aktuelle und neue Informationen auf den Webseiten von www.fas.org und www.bits.de verfügbar waren.

Offizielle Dokumente, die wir in diesem Kontext zur Verfügung stellen können, finden sich unter den folgenden Links:
http://www.bits.de/main/npr2001.htm
http://www.bits.de/NRANEU/others/end.htm


Nachbemerkung: Die Email-Diskussion mit den Autoren der beiden Artikel, die ich seit Veröffentlichung der Beiträge führte, erweckte bei mir den Eindruck, dass es ihnen nur in sehr geringem Umfang um die Klärung der Faktenlage und viel mehr darum ging, BITS und mich als Person durch Insinuierungen unglaubwürdig zu machen. [ 2 ]


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS


[ 1 ] Beide Autoren gehören zur Redaktion der arbeiterfotografie.

[ 2 ] Eine Anmerkung zum „Stil“ der beiden Autoren sei erlaubt. Sie pflegen einen vorgeblich aufklärenden „Journalismus“, der mit allen Sorgfalts- und Fairness-Regeln des Berufes bricht und mir erstmals begegnete: Ihren Artikel mit indirekt formulierten, potentiell rufschädigenden Anwürfen veröffentlichten sie, ohne auch nur den Versuch einer Kontaktaufnahme zu unternehmen oder die Gelegenheit zu geben, Stellung zu beziehen oder fehlerhaften Rechercheergebnissen zu widersprechen. Sie publizierten meine erste persönliche Antwort ohne Rückfrage, ob ich einverstanden sei und kommentierten diese gleich mit einer langen, eigenen Gegenstellungnahme. Zur Veröffentlichung zugesandte Reaktionen wurden meist erst online gestellt, wenn sie zeitgleich eine erneute Entgegnung online stellen konnten. In der Kommunikation mit mir erlaubten Sie es sich sogar, eine explizit als nicht zur Veröffentlichung gekennzeichnete Email an sie als Autoren sinn- und intentionsentstellend so verkürzt zu veröffentlichen, dass sie hoffen konnten, dies stütze ihre Position. Die Veröffentlichung einer in der gleichen Mail zugesandten Sachargumentation, die diesem Beitrag ähnelt, lehnten sie ab. Seriös, sauber und fair geht anders. Aufklärender Journalismus auch. (Die Redaktion der NRhZ agierte bislang korrekt.)