Büchel, Nörvenich, Ramstein
Wo lagern wirklich Atomwaffen in Deutschland?
von Otfried Nassauer
Ungewöhnliche Ereignisse machen ungewöhnliche Reaktionen
erforderlich. Dieser Beitrag ist eine ungewöhnliche Reaktion. Am
16. Juli 2008 veröffentlichten die Neue Rheinische Zeitung und die
Webseite www.arbeiterfotografie.de einen Beitrag von Anneliese Finkentscher
und Bernd Neubauer, der folgende Hypothese aufstellt. „Aus den Veröffentlichungen
von Juni 2008 ist zu entnehmen, dass es in Deutschland zumindest drei
Orte gibt, die für die Lagerung von Atomwaffen in Betracht kommen.
Ramstein (Pfalz), Büchel (Eifel), Nörvenich (NRW).“ „Die Veröffentlichungen“
sind tagesaktuelle Meldungen aus dem Juni 2008 von dpa, afp, focus-online
und anderen Medien - meist aus dem Internet entnommen.
Gemeinsam war diesen Meldungen, dass sie – jeweils in dem ein oder anderen
Punkt - scheinbar den Rechercheergebnissen widersprechen, zu denen Hans
Kristensen (Federation of American Scientists, früher NRDC) und ich
in den letzten Jahren gekommen sind. Mal, weil sie eine veraltete Faktenlage
wiedergaben, mal weil sie fehlerhaft berichteten. Finketscher/Neubauer [ 1 ]
insinuierten aufgrund der Medienmeldungen, BITS sei eine mit größter
Skepsis zu betrachtende Quelle mit fragwürdigen Geldquellen wie der
Ford- und der Heinrich Böll-Stiftung – Diskreditierungsversuchen,
mit denen ich mich im Interesse der Sache und der Kürze hier nicht
ausführlich auseinandersetzen will, weil die Anwürfe schlicht
unter der Gürtellinie landen sollten.
Die Sachfrage lautet: Gibt es noch mehr als ein Nuklearwaffenlager in
Deutschland? Sind möglicherweise doch noch nukleare Bomben in Nörvenich
oder Ramstein gelagert? Wie stark ist die Quellenlage die dafür spricht,
dass Atomwaffen nur noch in Büchel gelagert werden? Wie gut sind
die Quellen, die für beide Positionen ins Feld geführt werden
können?
1. Nörvenich
Der Nuklearwaffenstandort Nörvenich wurde spätestens 1997 als
aktives Depot aufgelöst. So sagt es die US-Luftwaffe. Sie zog wahrscheinlich
1996, möglicherweise aber auch erst 1997 ihre Bewachungs- und Technikeinheit
für Nuklearwaffen, die 604 MUNSS, aus Nörvenich ab (gleiches
geschah in Memmingen) und listete den Standort hernach in einem freigegeben
Dokument aus dem Dezember 1997 in einer Kategorie mit der Bezeichnung
„Caretaker Status“. Dieser bedeutet, dass an einem Standort, an dem die
nukleare Teilhabe mit anderen NATO-Staaten früher praktiziert wurde,
keine Atomwaffen mehr gelagert werden. Technisch möglich aber wäre
es, dort in einer Krise wieder Atomwaffen einzulagern und das zugehörige
US-Personal erneut zu stationieren. Nörvenich war hernach ein inaktives
Nuklearwaffenlager, in dem keine Atombomben mehr gelagert wurden.
Eine ganze Reihe von Argumenten und Fakten unterstützt diese Analyse:
a) Wenn es bei einem europäischen NATO-Geschwader keine MUNSS
gibt, dürfen dort keine Atomwaffen gelagert werden. Es gibt keine
US-Soldaten mehr, die die nationale Kontrolle der USA über diese
Waffen sicherstellen. Wären trotzdem Atomwaffen in Nörvenich
vorhanden, so befänden sie sich unter deutscher Kontrolle – ein
Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag wie er kaum deutlicher
sein könnte. Es gibt auch kein Wartungspersonal mehr, das im Falle
technischer Probleme mit einer Waffe schnell eingreifen oder Routinearbeiten
an den Waffen und ihren Lagerstätten durchführen könnte.
b) Die auf deutschen Fliegerhorsten mit Nuklearwaffen übliche,
zusätzliche Sonderwacheinheit der deutschen Luftwaffe – die Luftwaffensicherungsstaffel
„S“ – wie Sonderwaffen – wurde in Nörvenich ebenfalls aufgelöst
und das Personal eingespart. Das ergibt sich aus der Personalstärke
des Jagdbombergeschwaders, die deutlich geringer ist als in Büchel,
und aus Listen des Verteidigungsministeriums über die Einheiten,
die in Nörvenich stationiert sind. Gäbe es in Nörvenich
noch Atomwaffen, so wäre der Fliegerhorst das am schlechtesten
geschützte US-Atomwaffenlager auf der Welt. Als einzige Sicherheitstruppe
gibt es nämlich die normale Luftwaffensicherungsstaffel der Bundeswehr,
die die Außengrenzen des Fliegerhorstes bewacht - so wie auf allen
nicht-nuklearen Fliegerhorsten.
c) Seit 1997 wurde keine Nuklearwaffen-Sicherheitsinspektion (NSI-Nuclear
Surety Inspection) in Nörvenich mehr beobachtet – eine Pflichtübung
für jeden aktiven Nuklearwaffenstandort.
US-Kollegen konnten 2004 oder 2005 ein Dokument aus dem Weißen
Haus einsehen, aus dem hervorging, dass Präsident Clinton Ende 2000
die Lagerung von 130 Nuklearwaffen in Ramstein und 20 in Büchel autorisiert
hatte (eine solche Autorisierung erlaubt Abweichungen von 10% nach oben
und unten), aber keine für Nörvenich. Darüber berichteten
sie 2005 in einem Forschungsbericht des Natural Resources Defense Councils.
Ursprünglich sollte schon 2007 der nicht-nuklearfähige Eurofighter
die alten nuklearfähigen Tornado-IDS in Nörvenich ablösen.
Wegen Lieferverzögerungen beim Eurofighter wurde der Beginn der Umrüstung
auf Anfang 2009 verschoben. Danach stehen nicht einmal mehr theoretisch
nuklearfähige Trägerflugzeuge in Nörvenich zur Verfügung.
Unklar ist zudem, ob es den „Caretaker Status“ heute noch gibt. Er ist
seit etlichen Jahren in den öffentlich gewordenen, offiziellen Dokument
nicht mehr aufgetaucht. In Nörvenich sind also mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit keine Atomwaffen mehr gelagert. Die 11 Lagermagazine
(vaults) für atomare Bomben sind zwar physisch noch da, aber leer.
2. Ramstein
In Ramstein wurden nach Angaben aus Dokumenten der US-Luftwaffe und
des US-Kongresses insgesamt 55 Vaults gebaut. Einer war für Übungszwecke
reserviert. Für 54 Vaults hatte Clinton 130 Waffen (+/- 10%) autorisiert.
Bis in das Jahr 2004 waren die Waffen noch da. Im Mai 2004 unterzeichnete
Präsident Bush eine neue Autorisierung, deren konkreter Inhalt bis
heute nicht verifiziert werden konnte. Das gilt auch für eine mögliche
erneute Aktualisierung, die eigentlich 2008 erfolgen müsste oder
bereits erfolgt ist.
Während der Diskussion über den NRDC-Report 2005 hörten
Hans Kristensen in den USA und ich in Deutschland aus unterschiedlichen
zuverlässigen Quellen, dass die Atomwaffen aus Ramstein abgezogen
worden seien. Ein erfahrener Spiegel-Journalist, Alexander Szandar, ging
der Sache weiter nach. Eine deutsche Quelle, die informiert sein musste,
weil die „Gastnation“ nach den Vorschriften der USAFE über solche
Transporte informiert werden muss, bestätigte die Information. Aus
Sicherheitsgründen seien die Waffen wegen der umfangreichen Bauarbeiten
in Ramstein (Übernahme der Aufgaben der Rhein-Main-Airbase) ausgeflogen
worden. Der Spiegel veröffentlichte es. Unklar blieb, ob die Waffen
2004 oder 2005 abgezogen worden waren. Aus konsolidierten Daten von Flugzeugspottern
konnten wir in den Folgejahren rekonstruieren, dass Ramstein 2004 ungewöhnlich
oft Transport-Flugzeuge aus der 62. Airlift Wing zu Besuch hatte. Ein
Teil dieser Einheit, die 4th Squadron, ist für alle Atomwaffentransporte
als Prime Nuclear Airlift Force der US-Luftwaffe zuständig. Ein Artikel
in der US-Militärpresse verriet zudem, dass für einen sehr großen,
unfallfreien Atomwaffenabzug ein Orden an den zuständigen Kommandeur
aus dieser Einheit verliehen worden war.
Da damals in den Haushaltsvorlagen des Pentagon für den US-Kongress
noch Pläne für den Bau neuer Nuklearwaffeninfrastruktur in Ramstein
enthalten waren und der Abzug angeblich wegen der Bauarbeiten erfolgte,
nahmen wir an, dass die Waffen irgendwann zurückgebracht werden sollten.
Erst 2007 wurde klar, dass die US-Luftwaffe ihre Planungen möglicherweise
gravierender verändert hatte und US-Präsident Bush möglicherweise
schon im Mai 2004 anordnete, die Waffen in den USA zu belassen. In Vorschriften
der US-Luftwaffe in Europa, die der Vorbereitung bevorstehender Pflichtinspektionen
für Nuklearwaffensicherheit dienen, war Ramstein nicht mehr vertreten.
Auch der Gegencheck bei finanzierten und geplanten Baumaßnahmen
in Ramstein zeigte: Die früher vorgesehene, neue Infrastruktur für
Atomwaffen(transporte) war mittlerweile gestrichen worden. Damit gab es
zwei indirekte, aber deutliche Belege dafür, dass die Waffen endgültig
abgezogen wurden. Ein drittes Indiz verstärkte den Eindruck: Waren
früher in Ramstein einige C-130-Flugzeuge stationiert, die u.a. dem
Transport nuklearer Waffen im Zuständigkeitsbereich von EUCOM dienten,
so gab es seit 2004/5 keine Hinweise mehr dafür, dass diese Aufgabe
noch besteht. Flugzeugspotter berichteten vielmehr von Besuchen von C-17-Flugzeugen
aus der 62. AW auf Fliegerhorsten, die der nuklearen Teilhabe europäischer
Staaten dienen. Indizien, dass die Nuklearwaffen nach Ramstein zurückgebracht
worden wären, gab es dagegen nicht. Indizien dafür, dass Ramstein
auch künftig nukleare Aufgaben erfüllen solle, gab es ebenfalls
nicht. Die Nachricht, dass der Abzug aus Ramstein wahrscheinlich ein endgültiger
sei, wurde veröffentlicht.
Mittlerweile liegen Neufassungen weiterer Dienstvorschriften der US-AirForce
vor, die zeigen, dass ein solcher Schritt logisch wäre. Auf Fliegerhorsten,
auf denen Atomwaffen lagern oder die „Atomwaffentransporter“ zu Besuch
haben, gelten so viele zusätzliche Sicherheitsvorschriften, dass
der Alltagsbetrieb einer logistischen Drehscheibe wie Ramstein empfindlich
gestört werden würde.
Auch in Ramstein besteht weiterhin – soweit wir wissen – eine technische
Infrastruktur, die die Lagerung atomarer Waffen theoretisch erlaubt. Ein
aktives Atomwaffendepot ist der Standort aber nicht mehr.
3. Zur Quellenlage
Welche Quellen sagen anderes, untermauern die These, dass es noch drei
Atomwaffenlager in Deutschland geben könnte? Die Autoren der arbeiterfotografie
führen u.a. Meldungen von dpa, Focus-online, afp und anderen Medien
an, deren Berichterstattung für jeden Fachkundigen offensichtlich
fehlerhaft oder veraltet ist. Obwohl die Meldungen (ab 19/20. Juni 2008)
meist auf einem Bericht von Hans Kristensen fußten, negierten sie,
dass dieser Bericht vom 19.Juni neue Informationen über die Nuklearwaffenlagerung
in Europa enthielt und davon ausging, dass sowohl Ramstein als auch das
Depot in Lakenheath (UK) mittlerweile geräumt wurde. Damit wurde
seit 2004 etwa die Hälfte aller US-Nuklearwaffen, die zuvor in Europa
lagerten, in die USA zurückgebracht.
Die Richtigkeit der Medienmeldungen, mit denen die Autoren der Berichte
in der NRhZ und bei arbeiterfotografie ihre Zweifel an den Analysen von
BITS (und Hans Kristensen) untermauern und die sie darüber spekulieren
lassen, ob die Friedensbewegung über einen „Informationskanal“ namens
„Herrn Nassauer“ in die Irre geführt werden soll, hinterfragen die
Autoren nicht im Geringsten. Sie stammen aus größeren Medien,
denen die Autoren in einem anderen Text nachsagen, gewöhnlich einen
hohen Anteil an „Desinformation“ zu enthalten. Als Sekundär- und
Tertiärquellen haben sie ein deutlich geringeres Gewicht als die
Primärquellen, auf denen die Überlegungen von Hans Kristensen
und mir beruhen. Jeder Student lernt, dass Primärquellen ein höheres
Gewicht haben als Sekundär- und Tertiärquellen. Schlecht und
unter Missachtung ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht recherchiert
haben die Autoren zudem: Sie haben bei den Autoren der Informationen,
dass wohl nur noch in Büchel Atomwaffen lagern, nie nachgefragt,
ob und wie wir die behaupteten Widersprüche erklären. Mehr noch.
Sie haben es sogar versäumt, nachzuschauen, ob neue, aktuellere Informationen
vorliegen. Sie diskutieren unseren Informationsstand aus dem Jahr 2007,
während zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres Beitrags am
16.7. 2008 bereits seit Wochen aktuelle und neue Informationen auf den
Webseiten von www.fas.org und www.bits.de verfügbar waren.
Offizielle Dokumente, die wir in diesem Kontext zur Verfügung stellen
können, finden sich unter den folgenden Links:
http://www.bits.de/main/npr2001.htm
http://www.bits.de/NRANEU/others/end.htm
Nachbemerkung: Die Email-Diskussion mit den Autoren der
beiden Artikel, die ich seit Veröffentlichung der Beiträge führte,
erweckte bei mir den Eindruck, dass es ihnen nur in sehr geringem Umfang
um die Klärung der Faktenlage und viel mehr darum ging, BITS und
mich als Person durch Insinuierungen unglaubwürdig zu machen. [ 2 ]
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit - BITS
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